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FAZIL HÜSNÜ DAGLARCA

Wystan H. Auden hat den großen Dichter als einen definiert, der produktiv ist, der alle poetischen Formen beherrscht und viele Themen aufgreift. Nach dieser Definition ist Daglarca ein großer Dichter. Seine Landsleute halten ihn ohnehin für den bedeutendsten lebenden Dichter der Türkei, nach dem Tod von Nazim Hikmet und Orhan Veli Kanik. 1914 in Istanbul geboren, nun fast 80 Jahre alt, war er Berufssoldat, Inspektor im Arbeitsministerium, dann – bis 1970 – Buchhändler. Doch haben ihn diese Berufe nie wirklich ausgefüllt. „Dichten ist für mich Leben. In dem Haus, in dem ich aufwuchs, floß die Lyrik wie das Wasser“, hat er einmal gesagt, und: „Ich befand mich in der Lyrik.“ 1935 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband, romantische Verse noch, beeinflußt vom orthodoxen Islam und der mystischen Dichtung eines Yunus Emre. Zu den strengen Formprinzipien der Diwanpoesie bekennt sich Daglarca bis heute, doch vollzog er in seinem Werk rasch die Abkehr von der eigenen Innenwelt und wandte sich konkreten Themen zu: der Geschichte und Gegenwart der Türkei und der vielfach bedrohten Welt. Er trat leidenschaftlich für die in großer Armut lebende anatolische Landbevölkerung ein, verfocht mit den Mitteln der Poesie die Reformen Atatürks und schrieb Zyklen mit so programmatischen Titeln wie „Hiroshima“, „Vietnam“ und „Neutronenbombe“. Bis heute hat er rund 70 Lyrikbände veröffentlicht. Was sind die Leitthemen dieses gigantischen Werkes? Der Mensch wird im Verbund mit aller irdischen Existenz gesehen, „als zutiefst Gezeichneter und einzig Sprechender in der Mitte einer Natur, die zur Fortdauer im All in friedlicher Tauschbewegung, genannt Liebe, bestimmt ist“ (Gisela Kraft). Das Gedicht, das Sprechen im Gedicht, ist im Entstehen selbsttätig, bestimmt sich selbst. Daher ist sein universales Thema die kosmische Endlosigkeit, die jedoch immer wieder im Menschen ausgemacht und an ihm konkretisiert werden muß. Diese stärkere Hinwendung zur Welt in ihrer realen Dringlichkeit beruht auf einem Schlüsselerlebnis, das Daglarca 1949 in Sivas hatte, jener ostanatolischen Stadt, in der vor kurzem Fundamentalisten das Tagungshotel des linksliberalen türkischen Schriftstellerverbandes niederbrannten. In den Elendsquartieren von Sivas hatte er, ganz in der Tradition seines großen Kollegen Pir Sultan Abdal (16. Jahrhundert), den entrechteten und doch niemals entwürdigten Menschenbruder erkannt, für den es künftig zu kämpfen und zu dichten galt. Dieser „Sivas-Impuls“ (in den Worten seiner verdienstvollen Übersetzerin Gisela Kraft) ist in Werk und Leben Daglarcas immer wieder auszumachen, ganz unverhüllt noch einmal in den Jahren 1963 bis 1966, als er auf die Schaufensterscheiben seiner Buchhandlung in der Istanbuler Altstadt jeden zweiten Donnerstag neue Gedichte klebt. Als sich die Schar der Passanten stets vergrößert und darunter auch Analphabeten sind, fügt er den Gedichten Bilder bei. „Ich bin als Dichter ein Menschenjäger“, sagt er. „Jedes meiner Gedichte ist ein Angelhaken, den ich in verschiedene Tiefen des Menschenmeeres auswerfe. Jeder Mensch soll den ihm am nächsten liegenden anbeißen. Ich möchte durch meine Gedichte die Bekanntschaft eines jeden Menschen machen, jedem habe ich etwas zu sagen.“ Joachim Sartorius

Bibliographischer Kurzhinweis:

Der umfassendste und beste Auswahlband erschien unter dem Titel „Brot und Taube“ 1984 bei Volk und Welt, Berlin, in der Übersetzung und mit einem Nachwort von Gisela Kraft.

Außerdem: „Komm endlich her nach Anatolien“, übersetzt von Gisela Kraft, Harran, Berlin 1981; neun Gedichte in der Anthologie „Die Wasser sind weiser als wir“, herausgegeben und übersetzt von Yüksel Pazarkaya, Schneekluth, München 1987; sechs Gedichte in „Jedem Wort gehört ein Himmel“, herausgegeben von Deniz Göktürk und Zafer Senoçak, Babel, Berlin 1991

Mit Ausnahme der drei Vierzeiler („Eine Erklärung“, „Glück“ und „Widerspiegelung“), übersetzt von Yüksel Pazarkaya, sind alle Gedichte auf dieser Seite von Gisela Kraft ins Deutsche übertragen worden.

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