: Exzesse als Lebenselexier
■ Die Choreographin Anouk van Dijk und der Autor Falk Richter nähern sich in Nothing hurts über Drogen der Schmerzgrenze
„Ich spüre schon lange nichts mehr. Um überhaupt noch etwas fühlen zu können, schneide ich mir mit der Rasierklinge gelegentlich in die Oberarme. Dann weiß ich wenigstens, daß ich noch lebe.“ So ungefähr lauteten die Worte einer Protagonistin der erfolgreichen amerikanischen Soap Opera Beverly Hills 90210.
Wie in jeder sorgfältig konzipierten Soap mußte auch hier das Gute vor dem Bösen siegen. In der nächsten Folge brachten besorgte Freunde die Arme zum Psychiater, eine Woche später war sie clean. Die Abgründe einer Gesellschaft, hier die der Reichen und Schönen, gekennzeichnet durch moderne Psychosen wie Magersucht, Drogenabhängigkeit und andere zeitgemäße Phänomene. Nach Ursachen wird in Seifenopern nicht geforscht.
Auch die Choreographin Anouk van Dijk und der Regisseur und Autor Falk Richter haben sich für ihre erste gemeinsame Arbeit No-thing Hurts vorgenommen, die Schmerzgrenzen einer westlichen Welt genauer zu beobachten. „Konstruierte Authentizität“ ist der Zustand, um den es geht. „Man begibt sich absichtlich in vorher konzipierte Szenarios, beobachtet sich dann und wertet sich selbst aus“, so Falk Richter. Dabei helfen Drogen, denn der Mensch muß sich zunächst dopen, sonst erlangt er diesen Zustand nicht.
Warum man so etwas tut, soll eine junge Filmemacherin zeigen. Sie ist die zentrale Figur in dem choreographierten Sprechstück, das ihren „eigenen emotionalen Landschaften“ Ausdruck verleihen soll. Wie in David Cronenbergs Film wird der Crash zur Metapher, um den Kampf mit einer cleanen Zivilisation aufzunehmen. Einer Welt, die nur noch in virtuellen Zusammenhängen wahrnehmbar ist und die Menschen keinen Schmerz mehr spüren läßt. Der Exzess wird zum notwendigen Lebenselexier, denn nur dieser Zustand macht es möglich, die eigenen Grenzen zu verlassen und dadurch Verwundungen und Zusammenstöße zu erfahren.
Dementsprechend ist Nothing Hurts ein Stück über Körper und Sprache. Der Körper reagiert da, wo Sprache keine Verwendung mehr findet, wo Kommunikation verhindert ist. Somit ist es kein Zufall, daß van Dijk und Richter zueinandergefunden haben. Seit längerer Zeit schon beobachteten sie gegenseitig ihre Arbeiten und führten eine ausgiebige Korrespondenz über die unterschiedlichen Ausdrucksformen, die im gemeinsamen Stück zur Einheit verschmelzen. Und über erschöpften Ravekörper, die nachts keine Ruhe finden. Denn es muß weitergehen, bis der Körper zusammenbricht.
Claude Jansen Premiere: 29. April, 20 Uhr, Kampnagel
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