Experten für strengere Grenzwerte: WHO fordert sauberere Luft

Die Weltgesundheitsorganisation verschärft ihre Empfehlungen für Luftschadstoff-Grenzwerte. Fortan liegen sie nun unterhalb der EU-Limits.

Strassenszen in der Dämmerung, viele Autos und ein Fahrradfahrer

Auf den Straßen von Duisburg: Mehr Einschränkungen für den Autoverkehr? Foto: Rupert Oberhäuser/imago

BERLIN taz | Deutschlands Luft, die ganz Europas und derer Welt muss sauberer werden. Am Mittwoch hat die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, ihre neuen Leitlinien zur Luftqualität veröffentlicht. Sie empfiehlt, die Grenzwerte für Schadstoffe wie etwa Feinstaub und Stickstoffdioxide (NO2) massiv zu senken. Denn die Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit zeigten sich bei noch geringeren Konzentrationen als bisher gedacht – Kinder leiden an Atemwegserkrankungen und Asthma. Erwachsene kämpfen mit Herzproblemen, erleiden Schlaganfälle, bekommen Diabetes oder Probleme mit dem Nervensystem. Und viele sterben frühzeitig.

Empfehlung klingt unverbindlich, ist es aber nicht. Die WHO überprüft diese regelmäßig, gleicht sie ab mit den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen dazu, wie Schadstoffe die Gesundheit belasten. Und das Europäische Parlament hat bereits gefordert, die EU-weiten Vorgaben, so sagt das der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold, „vollständig“ anzugleichen. Voraussichtlich im kommenden Jahr wird die EU-Kommission einen Gesetzentwurf vorlegen, sie wird die WHO-Leitlinien nicht komplett ignorieren können. Kommt auf Deutschland dann ein neuer Streit über Fahrverbote für Diesel- und Benzinautos, auch über Tempolimits und anderes zu?

Zumindest in Ballungsgebieten gilt für Stickoxide, die bei Verbrennungsprozessen entstehen, der Straßenverkehr als bedeutendste Quelle. Und Feinstaub kommt als Ruß aus dem Auspuff oder entsteht durch den Abrieb etwa von Reifen und Bremsen. Allerdings nicht nur. Kraft- und Heizwerke, Öfen in Wohnhäusern oder Fabriken erzeugen Feinstaub. Auch die Landwirtschaft hat ihren Anteil: In den Ställen entsteht durch die Verbindung von Kot und Urin Ammoniak, wenn es entweicht und sich in der Luft mit anderen Gasen verbindet, entsteht Feinstaub.

Bisher gilt für Stickstoff­dioxi­de EU-weit ein Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. Er stützt sich auf die bisherigen Vorschläge der WHO. Die rät nun aber zu maximal 10 Mikrogramm. Anders ist das beim Feinstaub. Da liegen die EU-Grenzwerte weit über denen, die die WHO bisher vorgeschlagen hatte.

Jürgen Resch, Umwelthilfe

„Schallende Ohrfeige für die Bundesregierung“

Die Experten unterscheiden dabei nach der Größe der Partikel: Für sehr feinen Feinstaub mit einem Durchmesser bis zu 2,5 Mikrometer – die Experten sprechen von Partikelgröße PM2,5 – wollen sie jetzt 5 statt bisher 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. Zum Vergleich: Der EU-Grenzwert lautet derzeit 25. Für Feinstaub mit weniger als 10 Mikrometer Durchmesser (PM10) sollen die Belastungen auf 15 statt bisher 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gesenkt werden, der EU-Grenzwert ist momentan 40.

„Die neuen WHO-Werte sind eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung und allen voran Verkehrsminister Scheuer, der noch vor zwei Jahren sogar die bislang geltenden, laxen NO2-Grenzwerte abschaffen wollte“, teilte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, mit.

Die Luft in Deutschland ist allerdings nicht mehr so schlecht, wie sie es mal war. 2020 war nach Daten des Umweltbundesamts das am geringsten mit Feinstaub belastete Jahr seit Beginn der Feinstaubmessungen Ende der 1990er Jahre. Der Grenzwert für Stickstoffdioxid wurde auch nur in sechs Städten gerissen. Und das habe nicht nur mit den Einschränkungen wegen der Coronapandemie zu tun, heißt es bei der Behörde. In vielen Städten wurden Fahrverbotszonen eingerichtet. Die Umwelthilfe klagte immer wieder. Autos wurden sauberer. Busse auch. Nur: Es reicht nicht. „Von den neuen Richtwerten sind wir auch in Deutschland noch weit entfernt“, erklärt der Präsident des Umweltbundesamts Dirk Messner. Was tun?

Jochen Flasbarth (SPD), Staatssekretär im Bundesumweltministerium, meint: „Wir müssen weg von den Verbrennungsmotoren, alternative Kraftstoffe helfen da nicht weiter. Der Verkehr muss elektrifiziert werden. Tempo 130 auf Autobahnen und mehr Tempobeschränkungen in Städten helfen ebenfalls Klima und Luft. Außerdem muss das Ammoniakproblem in der Landwirtschaft gelöst werden.“ Die Umwelthilfe fordert sogar Tempo 100 tagsüber auf Autobahnen sowie Tempo 80 auf Bundesstraßen und allen Straßen außerorts.

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