Experte über Terrorgefahr: "Al Qaida geht es um Verunsicherung"
Ein Anschlag wird durch das neue islamistische Drohvideo nicht wahrscheinlicher, sagt Publizist Thamm. Al Qaida betreibt psychologische Kriegsführung und bindet so Polizeiressourcen.
taz: Herr Thamm, seit dem Wochenende gibt es zwei neue islamistische Drohvideos, die sich an Deutschland richten. Ist ein Anschlag wahrscheinlicher geworden?
Berndt Georg Thamm: Wahrscheinlicher wohl nicht. Die neuen Videos reihen sich ja in eine ganze Reihe von islamistischen Drohvideos seit Anfang des Jahres ein. Auch Al-Qaida-Mann Bekkay Harrach, der auf den neuen Videos zu sehen ist, war damals bereits tätig. Diese Botschaften sind in weiten Teilen in deutscher Sprache verfasst und richten sich klar an die deutsche Bevölkerung und Politik. Das ist eine neue Qualität. Aber die gibt es schon seit Anfang des Jahres.
Neu ist aber, dass in einem der aktuellen Videos ein konkreter Zeitraum für einen möglichen Anschlag genannt wird.
Das ist auch nicht ganz neu, es gab bereits unspezifische Drohungen, die über US-amerikanische Nachrichtendienste bekannt wurden, dass um die Weihnachtszeit 2003 ein Anschlag auf ein Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg verübt werden sollte.
Jetzt ist aber in einem Video von einem Anschlag in den zwei Wochen nach der Bundestagswahl die Rede.
Ja, aber das sehe ich vor allem im Rahmen der psychologischen Kriegsführung. Das ist eine Waffe, die Al-Qaida sehr gezielt nutzt. Man kann natürlich nie einen Anschlag auschließen, vor allem nicht von einem Einzeltäter, der sich jetzt aufgerufen fühlt, etwas zu unternehmen, und ganz eigenmächtig aktiv wird - vielleicht ist der Auslöser dafür ein Konflikt im Privatbereich. Al-Qaida aber geht es vor allem um Verunsicherung. Zudem wird auf solche Drohungen ja auch reagiert. Die Polizei ist an Flughäfen und Bahnhöfen verstärkt im Einsatz, was richtig ist. Aber so werden auch Ressourcen über längere Zeiträume gebunden.
In dem Video droht Harrach dem ganzen Land, nur Kiel nimmt er aus. Wie erklären Sie sich das?
Das könnte auch einfach Teil der psychologischen Kriegsführung sein. Es ist jedenfalls nichts aus seinem Lebenslauf öffentlich bekannt, was einen Bezug zu Kiel hat - wo es immerhin einen Marinestützpunkt gibt. Vielleicht ist er mal durchgefahren, wir wissen es nicht. Insgesamt aber steht Bekkay Harrach für einen Trend bei Al-Qaida, dem wir viele Jahre lang nicht die Bedeutung eingeräumt haben, die sie verdient hätte.
Für welchen?
Dass Einwanderer wie Harrach, der ja lange in Deutschland gelebt hat, insbesondere aber Konvertiten nach ihrer Radikalisierung eine wichtige Rolle in der internationalen Qaida-Organisation spielen. Vor diesem Hintergrund kommt Zusammenschlüssen wie dem der Sauerland-Gruppe ein hoher Stellenwert zu.
Wenn sich die Bundeswehr aus Afghanistan zurückziehen oder zumindest einen Plan für den langfristigen Abzug erarbeiten würde, wäre Deutschland dann aus der Schusslinie?
Natürlich ist Afghanistan in diesem Susammenhang die symbolträchtigste Frage. Gäbe es sie nicht, würde Al-Qaida aber sicher andere Erpressungs- und Drohversuche unternehmen. Dann wären Forderungen möglich, dass sich die Marine vom Horn von Afrika verabschieden soll oder dass verurteilte islamistische Terroristen aus der Haft entlassen werden sollen. Da ist einiges denkbar.
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