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Experiment in freier Wildbahn

■ „Antonio Miguel“: Identitätszersplitterung im luftleeren Raum, live auf Kampnagel

Nein. Es genügt nicht, es hundertmal zu sagen. Man muss es hundertfünfmal sagen, damit das Publikum es endlich begreift: Es soll genervt werden, es soll einsehen, dass es nur aus Voyeurismus erschien.

Dabei fängt alles ganz harmlos an bei der Performance Antonio Miguel von Antonio Tagliarini und Miguel Pereira auf Kampnagel, und auch das Konzept klang viel versprechend: Die Zersplitterung eines glitzernden Popstars wollten die beiden in Szene setzen und das Publikum Verschiedenes fragen: Kam es aus purer Langeweile? Um die Akteure scheitern zu sehen? Hat es überhaupt das Recht, intime Selbstsezierung zu beobachten, nur weil dies eine „öffentliche Aufführung“ ist?

Natürlich – man weiß nicht, wie weit die beiden ihr Konzept wirklich umgesetzt wissen w ollten. Ungewiss ist, ob sie es geschätzt hätten, wenn man den Saal früh verlassen wäre – vielleicht an der Stelle, als Tagliarini „It's so boring“ murmelte. Und man kann nur mutmaßen, dass sie ursprünglich geplant hatten, sich auf das Konzept zu konzentrieren, das da lautete: Auftauen gefrorener Zeit, Entzerrung des erstarrten Augenblicks, Untersuchung der Tiefe, die in Ursprung und Vielfalt der genossenen Sekunde liegt. (Zitat Pereira, zu Beginn in den Raum gesprochen: „Time freezes when you have fun.“)

Doch was viel versprechend begonnen hatte, verkam schon bald: War die Entzerrung von Optik und Akustik – einsame „Obladi-Obladas“ gegen erstarrte Popstar-Pose – noch fesselnd gewesen, verloren sich die beiden später in detail- und selbstverliebter Körperakrobatik. Oder sie degradierten einander zu Marionetten, die mit Käthe-Kruse-Blick in die Gegend glotzten.

Gute Unterhaltung das alles, aber klar zu hoch dosiert – einschließlich der an sich originellen Commedia dell'Arte-Improvisationen, aus denen die Akteure als kopftuchbewehrte Clownchen und gackernde Hühner hervorgingen.

Mag schon sein, dass die Akteure bei solcher Endlos-Zersplitterung absichtlich die Geduldsgrenze überschritten (hatten wir aber alles schon). Kann aber auch sein, dass hier genau das praktiziert wurde, was Pereira zuvor so zielbewusst formuliert hatte: dass bewusst Lächerliches und Banales präsentiert wurde – und alles, damit das Publikum endlich mal ernsthaft über seine eigene Rolle nachdächte.

Allein – an diesem Abend versuchte kein Zuschauer, sich der traditionellen Rolle zu entziehen: Brav wurde gekichert, wenns lustig wurde, still schwieg man, wenn Stille ward. Brav bis zum Ende geblieben, danach noch brv geklatscht. Versuchsanordnung zweckmäßig, Experiment gelungen. Petra Schellen

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