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Exotisch-wilde Mannsbilder

■ 7. Filmhistorischer Kongreß „Fantaisies Russes“ / Filmreihe im Metropolis

Wenn sich ein armer Schuster die Geheimnisse des Orients ausmalt, wird das Morgenland zum Paradies auf Erden. In Deutschland und Frankreich drehte der russische Exilant Alexander Wolkoff 1927/28 seine Vision aus 1001 Nacht, die heute die Filmreihe, die den 7. Internationalen Filmhistorischen Kongress begleitet, eröffnet.

Das Schaffen russischer Filmemacher in den zwanziger und dreißiger Jahren in Paris und Berlin steht im Zentrum des Kongresses, der vom Hamburgischen Zentrum für Filmforschung e.V. CineGraph, dem Bundesarchiv-Filmarchiv in Berlin, dem Metropolis und dem Filmbüro organisiert wird. 60 FilmhistorikerInnen und PublizistInnen aus dem In- und Ausland tauschen sich ab heute bis zum 20. November unter dem Titel „Fantaisies Russes – Russische Filmemacher in Berlin und Paris 1920-1930“ über diesen Aspekt der europäischen Filmgeschichte aus.

Wer von den etwa 300.000 Exilanten, die 1923 die „russische Kolonie“ in Berlin bildeten, beim Film arbeitete, tat dies meist als Statist. Wenige schafften den Aufstieg zu Starruhm: „Die kleinen Ladenmädels verschlingen mit offenem Mund die wunderschönen, exotisch-wilden russischen Mannsbilder, so eine Art Gemisch von Großfürst und Löwenbändiger“, schwärmte 1926 der „Filmkurier“. So ein Mannsbild war Ivan Mosjukin, dessen Ruhm damals an den von Rudolfo Valentino heranreichte. Unter der Regie von Viktor Tourjansky, der bis in die sechziger Jahre Unterhaltungsfilme in Deutschland und Frankreich drehte, spielte Mosjukin 1925 Michel Strogoff - Der Kurier des Zaren nach Jules Verne, ein Abenteuerspektakel, das heute wie eine Art Indiana Jones aus den Zwanzigern wirkt. Die Kopie des über dreistündigen Films, der sogar handkolorierte Festszenen enthält, haben die Organisatoren eigens aus Frankreich herangeschafft.

Zu den bedeutendsten russischen Film-Emigranten, die nach der Oktoberrevolution in den Westen kamen, zählte auch Wladimir Sokoloff, der Stanislawski-Schüler, der später unter der Regie von G. W. Pabst (Die Liebe der Jeanne Ney), Samuel Fuller und Josef von Sternberg spielte. Von dem Regisseur Viktor Trivas, der zunächst in Deutschland arbeitete und später über Frankreich in die USA auswanderte, wird Aufruhr des Blutes zu sehen sein, ein „Urlaubsfilm“ zwischen Avantgarde und Film-spaß, in dem sich drei Sommerfrischler in die Zirkusartistin Vera verlieben.

Besonders interessant dürfte die Wiederaufführung von Die Apachen von Paris werden, die von Tuten und Blasen – vermutlich stürmisch – begleitet wird. Im Auftrag der UFA inszenierte 1927 Nikolai Malikoff in Berliner und Pariser Ateliers diesen Streifzug durch die Pariser Unterwelt, in der man sich damals noch mit Absinth betrank.

ano

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