: „Existenzberechtigung nur durch Wahlen“
■ Bürgerschaftschef Achim Reichert gibt auf, die Statt Partei aber nicht
Die von einst über 500 auf 240 Mitglieder und von 5,6 Bürgerschaftswahlprozenten auf Wahlprognosen von rund einem Prozent geschrumpfte rechtsbürgerliche Hamburger Statt Partei will sich bei den Bürgerschaftswahlen im September 1997 erneut zur Wahl stellen. Das beschloß der Kooperationspartner der SPD am Sonnabend auf einer turbulenten Mitgliederversammlung.
Auf einer durch gegegenseitige Schuldvorwürfe, deprimierenden Pessimismus, frischfröhlichen Optimismus und ausländerfeindliche Zwischentöne geprägten Veranstaltung waren sich die rund 60 Anwesenden Statt-Mitglieder wenigstens in einem Punkt einig: Einstimmig votierten sie dafür, den Stimmzettel im nächsten Jahr zu bereichern. Parteichef Siefke Kerwien sah denn auch „die Existenzberechtigung von Statt Partei nur durch die Teilnahme an Wahlen“ gegeben. Das „Potential“, welches es „auszuschöpfen gilt“, ortete Kerwien bei „über zehn Prozent“.
Mit Lob für die Sacharbeit, aber einer bitteren Beschreibung des Zustands seiner Partei hatte zuvor Achim Reichert, Führer des zusammengeschmolzenen Statt-Häufleins in der Bürgerschaft, das Handtuch geworfen: „Ich bin müde. Jede Feder hat begrenzte Spannkraft.“ Es stimme ihn „nachdenklich und traurig“, daß er seine „Kritiker vom Kopf, aber nicht vom Bauch, geschweige denn vom Herz her erreicht habe“.
Der Statt-Gruppe, so Reichert, fehle es an Professionalität und Seriosität. Der Bürgerschaftsgruppe werde einerseits „über weite Strecken blind vertraut“, andererseits müsse man ständig unter der Sorge arbeiten, „welcher Heckenschütze sich in einer Mitgliederversammlung verborgen hat“.
Reichert wünschte sich und Statt eine neue parlamentarische Galionsfigur und legte damit den Finger auf ein weiteres zentrales Problem. Der Partei mangelt es an vorzeigbaren Figuren, wie Ex-Parteichef Dieter Brandes bejammerte: „Unsere Substanz reicht nicht aus.“ Ex-Vize Carl-Edgar Jarchow pflichtete ihm bei: „Wir brauchen neue Köpfe.“
Der Ablauf des Parteitages selbst knüpfte noch einmal an beste Statt-Zeiten an: Nachdem zu Beginn der Statt-Bundesvorsitzende Johannes Butcher mit Parolen gegen den „weiteren Zuzug sogenannter Deutscher“ unter dem Protest der Versammlung die Anti-Aussiedler-Parolen seines SPD-Amtskollegen Oskar Lafontaine aufgegriffen hatte, endete die Landesmitgliederversammlung am Samstag abend mit Beschlußunfähigkeit. Eine wieder mal überforderte Versammlungsleitung durfte sich daraufhin vom Statt-Abgeordneten Dieter Obermeier „Mafiamethoden“ attestieren lassen. Florian Marten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen