: „Etwas komisch war es schon“
■ Zwei Sensationen am Rothenbaum / Mary Pierce ist bereits ausgeschieden / Anke Huber kam mühelos ins Viertelfinale
Wer behauptet, daß Steffi Graf den German Open fehlen würde? Wie so oft, könnte auch diesmal das Gegenteil der Fall sein. Zum einen flimmert die Weltranglisten-Erste auch in Abwesenheit als Werbeträgerin für Rexona-Deo über die Bildschirme am Rothenbaum, zum anderen überläßt sie ihren Fans die bequeme Ohne-sie-ist-dochalles-nur-die-Hälfte-wert-Haltung und gleichzeitig den Kolleginnen die Beweismöglichkeit, daß dem gar nicht immer so sein muß – Advantage Graf, Advantage Rothenbaum.
Nach dieser Rechnung war spätestens gestern der Mikrokosmos von Turnierdirektor Günter Sanders in bester Ordnung – hatte doch die 18jährige Qualifikantin Jana Kandarr die niederländische Ranglisten-Dreizehnte Brenda Schultz mit 6:3, 7:6 aus dem Turnier geworfen und so für die erste Überraschung aus deutscher Sicht gesorgt.
Schon nach sechs Minuten war die gebürtige Hallenserin, in der Weltrangliste auf Nummer 278 versteckt, gegen die 168 km/h-Aufschlägerin auf 3:0 davongezogen. Es wäre vermutlich zum Debakel gekommen, wenn nicht eine von der Siegerin konstatierte „Konzentrationsschwäche“ Schultz im zweiten Satz in den Tie-Break gerettet hätte. Als Kandarr dort zum 3:1 punktete, ihre Faust zusammenballte und Schultz sich resigniert auf den roten Sand hockte, war offensichtlich, daß der Pressekonferenz eine unvorhergesehene Besetzungsänderung bevorstand.
Dort spielte die Überraschungssiegerin so umsichtig auf, wie es als Newcomerin hierzulande zwecks Langlebigkeit ratsam ist. Versuche, sie zum Substitut der abwesenden Steffi zu pushen, wurden prophylaktisch als „Schwachsinn“ deklariert. Hinzu trat Kandarrs geschickt-naives Understatement-Zweifeln anläßlich einer Anfrage des ZDF – „obwohl die Leistung noch gar nicht so groß ist, als daß ich das verdient habe.“ Brav, sympathisch und unrealistisch – ihr heutiges Viertelfinale gegen die Spanierin Conchita Martìnez wird zum Spiel des Tages erklärt, die Kameras werden auf sie gerichtet sein.
Der Rest des Tages war eigentlich den Ästheten und Sonnenhungrigen unter den ZuschauerInnen vorbehalten. Dazu, dachten sich die 5.000 Anwesenden, würde sich besonders der Auftritt des topgesetzten Suzanne Lenglen-Verschnitts, Mary Pierce, eignen. Weit gefehlt. Die Französin mußte, unter einer Nierenbecken-Entzündung leidend, beim Stand von 3:6, 7:5 und 3:0 für die hervorragend eingestellte Heidelbergerin Petra Begerow (“Etwas komisch war es schon“) aufgeben, der damit die zweite Tagessensation glückte.
Begerow trifft nun auf Anke Huber, die sich gegen Ann Grossman mühelos mit 6:3, 6:1 durchsetzte. Das Viertelfinale komplettieren die Paarungen Hingis – Wiesner und Rittner – Maleeva.
Folke Havekost
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