theorie und technik : Ethnografie der Wohnzimmerkrieger: James Der Derian trifft auf Joda im technologischen Herz der Finsternis
Die Macht es ist
Was vom Irakkrieg übrig blieb? Unter anderem die Erkenntnis, dass die Techniken der Sichtbarmachung nicht so einfach denjenigen Gesetzen gehorchen, die ihnen von Wartainment-Designern zugerechnet werden. Das pixelige Ungefähr der Satellitendaraufschau und die vermeintliche Klarheit der Frontschweinperspektive erhielten des Öfteren ungewollte Korrekturen. Was die Produzentenseite als „aufklärerisch“ verkaufen wollte, lehnte die Rezipientenseite brüsk als „pornografisch“ (Boris Groys) ab. So gab es niemals ein Einvernehmen, wie es für den Krieg als spektakuläre Leistungsschau notwendig ist. Vorauseilend desillusioniert überließ man sowohl den Dolchstoß als auch den Bildersturm den Bildern selbst.
Gleichzeitig stiegen schulpflichtige Konsolenfreaks und Ego-Shooter zu Deutern der Hyperrealität auf, ohne Baudrillard kennen zu müssen. Am grünstichigen Simulacrum stieß sich niemand mehr, der die Taktiken des Häuserkampfes schon aus dem häuslichen Effeff kannte. Auch das friendly fire satellitengesteuerter Panzer sowie die Fehlschläge intelligenter Marschflugkörper durften ernsthaft nur GPS-verschonten Fahrraddieben als überraschend erscheinen. Der Hightech-Krieg im Wüstensand erbrachte so gesehen nicht nur tausendfach reales Leid unter fernen Opfern, sondern auch einen zynischen Kommentar auf unseren Alltag, der die entfremdeten Zwecke der Medien längst als kommode Konvergenz erfährt. Der militärisch- industrielle Komplex benötigt so lange keine restlos überzeugenden Bildstrategien, wie er auf den Techno-Fetischismus von Gebührenzahlern setzen kann.
Es lohnt deshalb, sich nochmals zu vergegenwärtigen, wie eigentlich die Ausrichtung des Krieges am Erwartungshorizont der „living room warriors“ in der letzten Dekade vonstatten gegangen ist. Der amerikanische Politologe James Der Derian, Autor für Wired und Gründer des Projekts infopeace.org, hat mit „Virtuous War“ bereits 2001 eine brillant geschriebene Studie vorgelegt, die das „Military-Industrial-Media-Entertainment-Network“ in den USA als technologisches Herz der Finsternis beschreibt. Mit Virilio und Benjamin im Gepäck reiste Der Derian zu den entlegenen „X-File-Territorien“ der US Army, besichtigte die Themenparks der „Imagineure“ von Disney, robbte bei einem simulierten Kampfeinsatz gegen das Volk der „Krasnovianer“ durch die Mojavewüste und sprach mit Wesley Clark, dem Nato-Oberkommandierenden im Kosovo.
Das erstaunliche Resultat seiner faszinierenden Recherche: Nichts von den Motiven der Planungsstäbe, nichts von ihrer Mühe, die Logistik der Just-in-time-Kriege zu optimieren, verbleibt in einer Blackbox. Und auch die Leutseligkeit, mit der etwa Andrew Marshall, der „Joda des Pentagons“, über „Asien“ als notwendigen Motivationsersatz für die Sowjetunion räsoniert, ist nachgerade entwaffnend. Chapeau und Dank für diese Ethnografie der „interzone“ – eines befremdlich angestachelten Milieus, in dem nicht nur computergestützte Waffensysteme und Strategiespiele, sondern vor allem auch Abkürzungskohorten proliferieren. So wird ein „advanced warfighting experiment“ schenkelklopferisch als AWE geführt. Das Staunen ob dieser entrückten Modellierung der politischen Wirklichkeit ist wiederum einem wissenschaftlichen „Embedding“ geschuldet, wie man es sich als Ertrag dieses Krieges dann doch wieder wünschen möchte. JAN ENGELMANN
James Der Derian: „Virtuous War“. Westview Press, Boulder 2001, 249 S., 26 $