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Essenz aus unüberschaubaren Akten

■ Richard Plant stellt sein Buch »Rosa Winkel« vor

Nicht von »Untermenschen« war die Rede: Wenn Heinrich Himmler, Führer der SS und später Innenminister im Reiche Hitler, die »Endlösung« für Homosexuelle meinte, sprach er von »Entlausung«. Himmlers oberstes Ziel, die »Reinheit« der Herrenrasse, war nur mit der völligen Vernichtung der Homosexuellen zu erreichen. Der Paragraph175, 1871 vom gerade geeinten Deutschen Reich verabschiedet, wurde 1935 verschärft und stellte jegliche homosexuelle Handlung unter Strafe, schwule Männer wurden verfolgt und in Haft genommen, um schließlich in den Konzentrationslagern ermordet zu werden. Ein aufgenähtes rosa Stoffdreieck wurde zum besonderen Kennzeichen der sexuellen Straftäter.

»Rosa Winkel« heißt das Buch (Richard Plant: Rosa Winkel, Campus Verlag, Frankfurt am Main 1991), das die Geschichte der Schwulenverfolgung im Dritten Reich nachzuzeichnen versucht. Der Autor Richard Plant, schwul und jüdischer Herkunft, wurde 1910 in Frankfurt geboren. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand 1933 emigrierte er in die Schweiz. Nach Abschluß seines Studiums in Basel ging Plant 1938 in die USA, verdiente sein Geld als Filmkorrespondent für Schweizer Zeitungen und war kurzzeitig Mitarbeiter von Klaus Mann im New Yorker Exil. 1942 wurde Plant in der deutschen Abteilung von NBC angestellt, und war schließlich bis 1973 als Dozent für Germanistik am City College in New York tätig.

Der Autor kommt in seinem neuen Buch, das zuerst 1986 in den USA veröffentlicht wurde, nicht ohne berechtigten Vorwurf aus: »Auch deutsche Historiker versäumten es, das elend der Schwulen im Dritten Reich zu diskutieren.« Die Strategie des Schweigens, nach dem Wegfall der juristischen Sonderbehandlung für schwule Männer herausragendstes Merkmal einer sich demokratisch verstehenden Öffentlichkeit im Umgang mit Homosexuellen, bestimmte auch diesbezüglich die deutsche Geschichtsschreibung. Die Fraktion der Tunten innerhalb der neuen deutschen Schwulenbewegung »entdeckte« erst Mitte der 70er Jahre den rosa Winkel und machte ihn weltweit zum Erkennungszeichen der schwulen Emanzipationsbewegung. Schwule Wissenschaftler und Journalisten gingen vor allen anderen daran, diesen Teil der deutschen Geschichte — mit unzureichenden Mitteln und unter größten Mühen - aufzuarbeiten. Richard Plant selbst gehörte zu den wenigen, als er bei seiner ersten Reise ins Nachkriegsdeutschland im Archiv des Internationalen Suchdienstes im nordhessischen Arolsen begann, aus den schier unüberschaubaren Akten mehr zu erfahren über das Verschwinden der Schwulen während des Naziregimes.

Die Ergebnisse von Plants zwangsläufig unvollständiger Recherche und die Aufarbeitung der spärlichen Forschungsberichte von anderen sind im vorliegenden Buch zusammengefaßt. Einen zentralen Platz nimmt darin die Betrachtung Heinrich Himmlers ein, für Plant der »Großinquisitor«, dessen Homophobie zum Motor der nationalsozialistischen Schwulenverfolgung wurde. Himmler war es, der 1936 als oberster SS- und Polizei-Chef die »Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung« einrichtete. Für die Überzeugung Himmlers, die Existenz von Homosexuellen sei eine »Tragödie« und zu den Krankheiten zu zählen, von denen der »Patient Deutschland« geheilt werden müßte, sucht Plant nach Erklärungen: »Vielleicht entstammt seine Abscheu gegen Homosexuelle seiner tiefen Überzeugung, daß Homosexuelle mit gewissen höherwertigen Qualitäten ausgestattet seien, die ihm selbst fehlten: Er gestand Homosexuellen öfter die unheimliche Gabe zu, einander zu erkennen.«

In einem akkuraten Neun-Stufen-Plan legte er genau fest, was als homosexuelle Handlung zu verstehen und somit strafrechtlich zu verfolgen sei. Das begann unter Punkt1 mit »dem bloßen Anschauen des geliebten Objekts (ideeller Koitus)« und endete unter Punkt9 mit der »eigentlichen Päderastie (immissio penis in anum)«. Mit dieser Differenzierung der »Tatbestände« war auch ein Instrumentarium geschaffen worden, ohne Schwierigkeiten jeden politischen Gegner auszuschalten. Besondere Aufmerksamkeit galt hierbei den nur Männern zugänglichen Institutionen wie Jugendbewegung, katholischer Kirche und Wehrmacht, wenn Teile davon in Verdacht gerieten, Gegner des Regimes zu sein.

Die genaue Zahl derer, die schließlich in den Konzentrationslagern umkamen, ist nicht bekannt. Schätzungen, denen sich auch Plant anschließt, beziffern sich auf 5.000 bis 15.000 Homosexuelle. So unsinnig es angesichts des Grauens in den Konzentrationslagern scheinen mag, die verschiedenen Gruppen in den Vernichtungsstätten hierarchisch einander gegenzuordnen, so kommt auch Plant nicht umhin, auf Besonderheiten schwuler KZ-Opfer hinzuweisen: Homosexuelle und Juden wurden härter zusammengeschlagen als andere, »ihnen wurden auch die Schamhaare abrasiert; die anderen Häftlinge büßten nur ihr Haupthaar ein.« Die Unterdrückung der Schwulen außerhalb der KZs spiegelte sich auch im Lager wider: »Deshalb wurden schwule Häftlinge, die versuchten, sich einem geheimen Lagerkomitee anzuschließen, immer abgewiesen. Sowohl die Naziaufseher als auch ihre Häftlinge gingen davon aus, daß die Männer mit den rosa Winkeln biologisch zu sehr programmiert waren, um etwas anders als sexuelle Befriedigung suchen zu können.« Als sich schließlich 1945 die Lager öffneten, ließ sich anhand der Totenlisten feststellen, daß »die Sterblichkeitsrate der Homosexuellen höher lag als bei allen anderen untersuchten Häftlingsgruppen«.

Plant kommt auch nicht umhin, erneut auf eine Tatsache hinzuweisen, wie schon so viele vor ihm, ohne daß sie in diesem Land eine Berücksichtigung fand: Der verschärfte Paragraph175 galt auch weiterhin nach dem Krieg, und die gerade befreiten schwulen KZ-Opfer konnten weiter strafrechtlich verfolgt werden. So konnte auch keiner der wenigen Überlebenden sein Recht auf Wiedergutmachung in Anspruch nehmen, hätte er sich doch mit einem solchen Gesuch wieder als »Krimineller« offenbart. Plants Bericht geht noch weiter: »Zudem befanden einige der amerikanischen und englischen Juristen der alliierten Streitkräfte , als sie vom Fall eines Insassen hörten, der wegen seiner homosexuellen Aktivitäten zuerst regulär inhaftiert, dann aber in ein Lager gebracht worden war, daß ein Lager juristisch gesehen kein Gefängnis sei. Wenn jemand also zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden war, fünf dieser Jahre im Gefängnis, die letzten drei hingegen in einem KZ abgesessen hatte, so mußte er nach seiner Befreiung aus dem Lager noch drei Jahre Gefängnis absitzen.«

Das Buch von Richard Plant erweitert nicht maßgeblich den Forschungsstand jener wenigen, die schon früher wissen wollten. Es versammelt und erhärtet die Erkenntnisse und Tatsachen, die so lange und so oft immer wieder in der Unbedeutsamkeit verschwunden sind. Es bleibt zu wünschen, daß mit diesem Buch, das seinen Umweg über die USA nehmen mußte, die Geschichte der Schwulenverfolgung im Dritten Reich die Beachtung findet, die notwendig ist. Notwendig, um ein weiteres Mal mehr die zerstörerische Ideologie des Naziregimes zu begreifen. Und notwendig, um die besondere Lage der schwulen Minderheit in Deutschland heute vor diesem historischen Hintergrund genauer erkennen zu können. Elmar Kraushaar

Richard Plant liest aus seinem Buch am Freitag, dem 15.Februar, um 20Uhr im Buchladen Prinz Eisenherz, Bleibtreustr. 52, 1-12

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