Essen und Revolution: Futterneider aller Länder, vereinigt euch!
Futterneid haben Menschen, die in Knappheit aufgewachsen sind, heißt es. Gerade sie sollten gegen den Egotrip ankämpfen, statt sich darauf auszuruhen.
I ch liebe Pasta, aber Pastaessen kann harte Arbeit sein. Wenn der Parmesan am Stück serviert wird, dann muss man ihn reiben. Und dann reibe ich und reibe. Und reibe. Im besten Fall haben die anderen am Tisch schon vor mir gerieben. Wenn meine Gier größer war als die Vernunft, dann sitzen sie da und warten und warten. Und warten. Während der Parmesanberg immer größer wird, versuchen sie kein Ding daraus zu machen, manchmal gucken sie trotzdem verständnislos.
„Was ist das wieder für ein Haufen? Was kompensierst du?“, fragte letztens eine Freundin. „Stimmt“, dachte ich, „wieso esse ich eigentlich Parmesan mit Pasta statt Pasta mit Parmesan? Was passiert mit mir, wenn ich esse? Was ist eigentlich los mit mir?“
Dabei ist das nur die Spitze des Parmesanbergs. Wenn ich Hunger habe, dann schaue ich nicht nur, ob ich genug auf den Teller bekomme, sondern auch darauf, ob die anderen nicht vielleicht mehr bekommen. Wenn es ein Schnitzel gibt oder einen Burger, dann habe ich immer das Gefühl, dass das Schnitzel oder der Burger der anderen größer ist. Verteilen möchte ich das Essen lieber nicht, auch wenn ich selbst gekocht habe, denn beim Essenverteilen verrät sich der Futterneider am ehesten, die Versuchung ist groß.
Dabei gibt es heute für mich fast nie einen rationalen Grund für die Angst, nicht satt zu werden. Außer wenn jemand Sushi bestellt – so klein, so wenig und dann auch noch so teuer! Aber selbst dann ist Futterneid unsozial und uncool. Weil nicht nur die anderen am Tisch einen komisch finden, man versaut sich damit ja auch selbst die Mahlzeit.
Geschwister und Knappheit
Es gibt ja die populäre Erklärung, dass Futterneid hat, wer mit vielen Geschwistern und in armen Verhältnissen aufgewachsen ist. Ich bin mit drei Geschwistern und nicht im Überfluss aufgewachsen. Die küchenpsychologische Theorie befriedigt mich trotzdem so wenig wie eine normale Portion Parmesan. Am Ende dient sie dazu, den eigenen Futterneid schönzureden. Und selbst wenn sie stimmte: Wäre es nicht tragisch, dass gerade diejenigen, die Knappheit erlebt haben und es deshalb besser wissen müssten, so eine Egoshow am Esstisch abziehen?
Marxistisch gesehen geht es gar nicht um die Moral des Einzelnen, sondern um die Art und Weise, wie Produktion und Konsum in unserer Gesellschaft organisiert sind, auf Ungleichheit basierend und diese stetig hervorbringend. Wieso sollten sich da gerade die Ausgebeuteten besser verhalten als die Ausbeuter?
Trotzdem hängen wir da alle gemeinsam drin – die Futterneider und die Nichtfutterneider. Und irgendjemand muss ja damit anfangen, etwas zu verändern. Deshalb werde ich es ab jetzt mit Pasta mit Parmesan statt Parmesan mit Pasta probieren. Die Futterneider haben nichts zu verlieren als ihre Parmesanreiben. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Futterneider aller Länder, vereinigt euch!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“