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Essen: 102 vergiftete Spielplätze gesperrt

■ Nach massivem Druck von Elterninitiativen und einer Aktion der Grünen gab die Stadtregierung endlich nach / Die lieben Kleinen wühlten in zink- und schwermetallverseuchten Böden

Aus Essen Bettina Markmeyer

Für Essener Kinder gibt es in diesem Sommer noch weniger Platz zum Spielen als sonst: die Stadt ließ gestern 102 Spielplätze sperren. Der als „reine Vorsichtsmaßnahme“ bezeichnete Beschluß des Grünflächendezernenten Karl Gabriel kam erst auf massiven Druck von Elterninitiativen und nach einer Aktion der Grünen zustande, die im ganzen Stadtgebiet mit Schildern auf Spielplätzen vor verseuchten Böden gewarnt hatten. Sie forderten Schließung und Sanierung der Plätze. Noch am Mittwoch abend hatte der Leiter des Grünflächenamts, Horst Schröder, auf einer turbulenten Elternversammlung behauptet, es gebe keinen Grund, außer drei bereits gesperrten Spielplätzen weitere zu schließen.

Ausgerechnet nach einem Sonderprogramm für eine ökologisch ausgerichtete „Umgestaltung von Spielplätzen und Spielwiesen“ des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales werden seit Anfang des letzten Jahres Essener Spielplätze bearbeitet. Anfang Juni hatte die Stadt den ersten Spielplatz sperren und untersuchen lassen. Eine Mutter hatte darauf aufmerksam gemacht, daß der Boden vergiftet sein könne. Ihr Sohn und vier weitere Kinder husteten, wenn sie vom Spielplatz kamen, sie litten unter Kopfschmerzen und Übelkeit. Die Bodenuntersuchungen ergaben weit überhöhte Zink- und Benzpyren-Konzentrationen im Boden. Er stammte, wie die Stadtverwaltung erst auf Anfrage bestätigte, von der Bauschuttdeponie Hangetal in Essen-Stoppenberg, einer Kippe der Kategorie „leicht belastete Böden“, auf die unter anderem U-Bahn-Aushub gebracht wurde. Wenig später wurden zwei weitere Spielplätze gesperrt, die zur gleichen Zeit mit demselben Material umgebaut worden waren.

Bevor die Hangetal-Erde zu „sanft modellierten Hügeln“ auf, wie die Grünen herausfanden, bis jetzt 102 Essener Kinderspielplätzen verarbeitet wurde, war sie nicht untersucht worden. Letzte Stichproben hatte das chemische Untersuchungsamt der Stadt Essen 1987 und 1988 genommen. Worauf überhaupt untersucht worden ist, bleibt unklar. Mit der nebulösen Formulierung „Vielleicht ist uns da ja was untergeschoben worden“ gab Amtsleiter Schröder am Mittwoch gegenüber der Elterninitiative zu, über Art und Anlieferer des Deponiemülls nichts zu wissen. Grünen-Ratsherr Eberhard Haberkern mag's kaum glauben: „Es gibt in Essen praktisch keinen unverseuchten Boden.“

Mitte Juli legte die Elterninitiative die privat in Auftrag gegebene Untersuchung eines der gesperrten Spielplätze vor, nach der der Sand für die Kleinen hohe Werte an Schwermetallen und krebserregenden aromatischen Kohlenwasserstoffen aufwies. Die Stadt war bis dahin zu keinen neuen Ergebnissen über die Vergiftung der Öko -Spielplätze gekommen. Die Messungen im verseuchten Spielsand dürften sich nun hinziehen, in den Böden können sich alle denkbaren Gifte befinden. Die Eltern, die bei ihren eigenen Probenentnahmen auch auf Teerbrocken stießen, wollen bei ihren Kindern eine Reihenuntersuchung machen lassen. Sie, die sich nun nach neuen Spielgelegenheiten für ihre Kinder umsehen dürfen, fühlen sich grob verschaukelt und fordern eine Sanierung aller belasteten Plätze. Sanieren lassen wollte die Stadtverwaltung dagegen bisher nur den ersten der untersuchten Spielplätze: das Geld dazu sollte aus dem Landesprogramm für die „ökologische“ Umgestaltung kommen.

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