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Es werde Licht am Platz der Angst

In Bensheim an der Bergstraße sind zwei Lichtmasten Teil eines Sicherheitskonzeptes, das Drogendealer vertreiben soll. Aber auch Obdachlose, Punker und Skater fühlen sich beobachtet. Die Bürger sind überglücklich  ■ Aus Bensheim Heide Platen

Die Bensheimer Innenstadt schummert am frühen Abend im heimeligen Licht der historisierenden Altstadtlaternen. Nur am Beauner Platz ist es strahlend hell. Zwei Lichtmasten scheinen auf das rote Ziegelpflaster wie auf ein kleines Fußballfeld. Sie leuchten die Häuserfassaden an, heben die beiden eisenrostigen Riesenhände in der Mitte des Brunnens hervor und machen die Blätter der Platanen plastisch. „Wie in Siena“ sollte der Beauner Platz werden, den die Bergsträßer nach ihrer französischen Partnerstadt benannten. Südliches Flair sollte sein für Flaneure an Sommerabenden. „Das ist wohl nicht ganz gelungen“, sagt Hans Hofmann, Chef der Ortspolizei. Und deshalb hat er das Licht angemacht.

Das leuchtet demnächst allabendlich, präventiv und mit Zeitschaltuhr gesteuert, auf den bei einer Bürgerbefragung als „Angstraum“ ausgemachten Platz. Es solle, hatte eine Presseagentur am Donnerstag gemeldet, Obdachlose, „lichtscheue Elemente“, vertreiben. Das wiederum möchte Thomas Bauer, Hofmanns Stellvertreter, so nicht stehen lassen. Die Lichtwerdung richte sich keinesfalls gegen die „Nichtseßhaften“, die am Rande des Platzes lagerten. Die seien, sagt er, „ganz harmlos“. Zu schaffen gemacht habe der größten Stadt im Kreis vielmehr ihre verkehrsgünstige Lage an der Bahnstrecke zwischen Frankfurt und Heidelberg, zwischen Bundesstraßen und Autobahnen. Die nämlich zog Dealer aus dem Rhein-Main-Gebiet ins beschauliche 40.000-Einwohner- Städtchen. Kundschaft haben sie hier genug; Täglich reisen 10.000 Schüler aus dem Umland an. Auf dem Beauner Platz entstand eine Gemengelage der Klein- und Randgruppen. Es sammelten sich dort, streng voneinander abgegrenzt, die durchreisenden Wohnsitzlosen, die örtlichen Alkoholiker, die Punker, die Junkies, die Skateboard-Fahrer. An den grauen Betonsockel in der Platzmitte haben sie „Skate and Destroy“ gesprayt. An der Rückseite steht: „Sumpfgebiet“. Wohl wahr.

Ein Pfeil weist auf die Treppe abwärts ins Parkhaus, die alle Gruppen bisher gemeinschaftlich als Urinal nutzten. Passiert ist da nie etwas. Bis die Situation im August eskalierte, als eine Ärztin brutal verprügelt wurde. Sie hatte gegen die Pinkelei protestiert.

Die Stadt reagierte mit einer Sicherheitskommission, die die Büsche stutzen ließ, den Vorbau des Bürgerhauses unzugänglich machte, die Abgänge ins unterirdische Parkhaus sicherte und die Parkbänke einmottete. Und nun also leuchtet das Licht, das den verwunderten Bensheimern die überregionale, öffentliche Aufmerksamkeit einbrachte. Gedacht waren die beiden 2.000-Watt-Masten eigentlich zur Illumination von Bürgerfesten und Weihnachtsmarkt. Eine Anwohnerin nun ist über die neue Zweckbestimmung „überglücklich“. Polizist Hans Hofmann sagt stolz wie ein Fremdenführer: „Sie sehen heute hier etwas, was sonst nicht passiert: Bürger gehen über den Platz.“ Und tatsächlich überqueren auch die Einwohner den Beauner Platz, die ihn sonst meiden. Alte Ehepaare kommen vorbei, Frauen mit Kinderwagen.

Südliches Ambiente versprechen sich die Beamten Hofmann und Bauer dennoch nicht. Die Geschäfte schließen weiterhin früh am Abend, und Thomas Bauer gibt zu: „Hier ist sowieso noch nie sehr viel los gewesen.“ Bauer, dem nichts Menschliches fremd scheint, sieht statt dessen Bürgerbeschwerden jener Anlieger entgegen, denen die Lampen in die Schlafzimmer scheinen. Währenddessen setzt an diesem Donnerstag abend nur ein polizeigeschützt gassigeführter Dackel seinen Haufen treffsicher und gut ausgeleuchtet in die Platzmitte. Die „Klientel“ der Polizei schaut vorbei und hat stilsicher einen Fußball mitgebracht. „Die kicken gar nicht mal so schlecht“, kommentiert Hofmann.

Matthias Michael nimmt zwischendurch immer wieder mal einen kräftigen Schluck aus der Bierdose, seiner „Staatsdroge“, und blinzelt in die Lampen: „Wir sind harmlos.“ Den Streit mit der Ärztin damals, den habe die Frau selber angefangen, sagt Mario, der gerade auf Heroinentzug war – und jetzt dem Ball hinterhertritt. Aber das Gericht, das zwei seiner Kumpel verurteilte, habe das gar nicht interessiert. „Das hier mit den Lichtmasten“, mault er ein Fernsehteam an, sei Propaganda für die Bürger und gegen Leute wie ihn. „Normal verprügeln wir keinen. Wir prügeln uns nur untereinander.“ Klar, es habe mal Ärger mit Dackelbesitzern gegeben, aber nur weil „unsere großen Hunde frei herumlaufen“.

Am Ende der Bensheimer Lightshow fährt Hans Hofmann den Streifenwagen für die Kameras noch einmal mit Blaulicht hin und her. Und dann kommt der Mann, der bis jetzt wirklich das Licht an- und ausmacht in der Stadt: Georg Sordon vom Elektrizitätswerk. Er legt den Schalter um und schließt den Verteilerkasten.

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