■ Die Erlanger „Großeltern“ wurden unter Druck gesetzt: Es war doch nur Experiment
Die BefürworterInnen des Erlanger Experiments haben ihr stärkstes Argument verloren. Wenn die „Großeltern“ des Ungeborenen dieses Leben wollten, dann müßten die Ärzte den Fötus retten. So argumentierte die katholische Theologin Uta Ranke-Heinemann. Wo Unfallopfer Organe spenden könnten, da sei es naheliegend, daß eine hirntote Schwangere den ganzen Körper ihrem Ungeborenen „spenden“ könne. Die Lebensrettung heilige die Mittel.
Zehn Tage nachdem die schwangere Leiche den Fötus abgestoßen hat, sorgen die Eltern der Toten für eine nicht unerwartete Wende: Sie wollten diese Lebensrettung nicht. Nicht mit diesen Mitteln. Sie fürchteten sich. Und sie fürchteten die Folgen. Wer in den fünf Wochen des Erlanger Experiments die Fernsehauftritte der Eltern mit denen der Ärzte verglich, der oder dem war das Machtgefälle offensichtlich. Die Ärzte wußten, was sie taten. Die Eltern wußten nicht, wie ihnen geschah. Die Ärzte waren tüchtig, die Eltern tapfer.
Die diffuse Rechtslage mit einer Pflegschaft für den Fötus, einer Betreuungsperson für die Hirntote und womöglich juristischem Streit zwischen den Vertretern der noch nicht Gestorbenen und dem noch nicht Geborenen mußte den Eltern als Horrorszenario erscheinen. Die machtbewußten Ärzte verwendeten sie als Drohung. Falls die Eltern ihre Rolle nicht spielen wollten, würden sie nicht nur des Todes ihrer Tochter, sondern auch noch des vielleicht einmal lebenden Enkels enteignet – Stichwort Sorgerecht. Das sollte allen zu denken geben, die aus falsch verstandener Ehrfurcht glauben, an den Grenzen zwischen Leben und Tod hülfen Gesetze nicht weiter. Wo die Gesellschaft sich nicht verständigt, entscheiden im Zweifelsfall die, die am Drücker sitzen.
Die Absage von Marion P.s Eltern an die Lebensrettung von Erlangen reißt den Medizinern aber auch jene menschelnde Maske vom Gesicht, die half, Fragen nach den Motiven abzuwehren. Es handelte sich um ein medizinisches Experiment. Erlangen war der Einstieg in weitere Experimente dieser Art. Und Männer – die wie der Rechtsmediziner Wuermeling bekennende Abtreibungsgegner sind – wollten einmal mehr eine Frau zwingen, eine unter bestimmten Umständen ungewollte Schwangerschaft auszutragen. Nein, nicht die Tote wollte ihr Kind nicht. Die als „Großmutter“ funktionalisierte Mutter der toten Schwangeren war es, die diese Schwangerschaft einer Leiche nicht austragen lassen wollte. Bettina Markmeyer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen