: Es stinkt im Hinterhof
■ Der Müll, die Stadt und die Vorurteile
Es stinkt im Hinterhof
Der Müll, die Stadt und die Vorurteile
In einem ersten Hinterhof wohnend, beobachte ich seit Wochen den Kampf des Hausmeisters gegen den Müll. Eine Sisyphusarbeit: Hat die Müllabfuhr jeweils montags ihr Werk getan, füllte der Hausmeister alsbald die leergewordenen Container mit dem Berg von Plastiktüten, der sich mangels Platz neben den Containern gebildet hat. Am Dienstag, spätestens Mittwoch, sind die Mülltonnen erneut bis zum Überquellen gefüllt und der danach anfallende Müll wird von den Anwohnern wieder neben die Container plaziert.
Dieser Rhythmus von sich anhäufendem und nur kurzfristig abebbenden Mülltüten bestimmte das Mülleben des gegenüberliegenden Hinterhofes der vergangenen Wochen... bis er gänzlich zum Erliegen kam. Sei's die Häufung von Feiertagen und/oder die Resignation des Hausmeisters, jedenfalls liegt dort jetzt ein gigantischer Müllhaufen. Mitunter können die Anwohner nur noch an dieser Müllhalde vorbeitänzelnd aus dem Hof auf die Straße gelangen. Nicht mehr die teilweise leerstehenden Müllcontainer, sondern der Müllberg ist jetzt Anlaufstelle für neu hinzukommenden Müll.
Der Hinterhof ist von polnischer Lebensatmosphäre erfüllt. Hier wohnen viele Polen - nahezu ausschließlich Männer -, die sich für ein paar Wochen oder Monate zwecks Devisenerwerbs in Berlin aufhalten. Ihre Lebensweise kontrastiert mit der frostigen, von deutscher Sterilität triefenden Atmosphäre dieses Hinterhofes. Laute Unterhaltungen von Fenster zu Fenster, Feiern und Singen in Bier- und Wodkalaune. Der Hof ist den Polen nicht nur Ort des Durchgangs, sondern Treffpunkt und Umschlagplatz für die neuesten Informationen, und sei's nur, wann mit der nächsten Polizeirazzia zu rechnen sei. Kurz, die polnischen Anwohner schaffen eine südländische Lebendigkeit, die sich nicht recht in das Bild eines ordentlichen und geregelten Lebens fügt.
Natürlich wird der wachsende Müllberg nicht kommentarlos von den Bewohnern des Hinterhofs hingenommen. Nicht die fehlenden Müllcontainer oder die zu seltene Abholfrequenz des Mülls werden bemängelt, hervorgekramt aus alten Schmutzschichten werden unvergängliche Ressentiments. Die Polen und ihre Lebensweise werden als Verursacher dieses Mißstandes hingestellt.
Eine Anwohnerin schiebt ihre Migräne auf das ständige polnische Gerede in diesem Hinterhof. Sie benähmen sich wie Kinder und nicht wie erwachsene Menschen, würden es zu Hause wohl ebenso tun. Kein Wunder, daß es der polnischen Wirtschaft so schlecht ginge...Gudrun Werner-Hervien
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