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Es stinkt gewaltig in der Eier–Branche

■ Neuer Flüssig–Ei–Skandal aufgedeckt / Tonnenweise Lebensmittel mit verdorbenem, bakterienverseuchtem Flüssig–Ei produziert / Ermittlungen gegen rheinland–pfälzische und belgische Händler aufgenommen / „Auf Geschmacksproben“ vorsorglich verzichtet

Stuttgart/Bonn (ap) - Trotz des seit Januar geltenden EG–weiten Totalverbots der Verwendung angebrüteter Eier sind in der Bundesrepublik erneut tonnenweise Lebensmittel mit verdorbenem, stinkendem und bakterienverseuchtem Flüssig–Ei produziert, verkauft und verzehrt worden. Nach Informationen von Associated Press sind von diesem neuen Flüssig–Ei–Skandal Fleischwarenfabriken, Großküchen und Fertiggerichte–Hersteller in Baden–Württemberg betroffen, deren Produkte aber zum Teil im gesamten Bundesgebiet verkauft werden. Ermittelt wird gegen Flüssig–Ei– Händler im rheinland–pfälzischen Waldfischbach und in der belgischen Stadt Bastogne. Seit dem Wochenende sind alle Grenzübergangsstellen angewiesen, keine Sendung der belgischen Firma Siegrid C. Belovo (übersetzt: schönes Ei) mehr ohne Kontrolle in die Bundesrepublik zu lassen. Allen Lebensmittelüberwachungsstellen und Veterinärbehörden liegt inzwischen ein Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums vor, in dem unter Hinweis auf den Fall zu erhöhter Wachsamkeit aufgefordert wird. Trotz dieses großen Kreises von Beteiligten und Informierten konnten die Behörden den Skandal bisher erfolgreich „unter der Decke“ halten. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen hat die Waldfischbacher Firma Horst Heiser, identisch mit der Firma Caho, von deutschen Geflügelzüchtern die Eier, aus denen in den Brutöfen keine Küken geschlüpft sind, aufgekauft und nach Belgien geliefert. Dort wurden sie zu Flüssig–Ei verarbeitet und entweder in frischer oder in gefrorener Form in die Bundesrepublik zurückverkauft. Die Verwendung von Abfall–Eiern bringt nach Einschätzung von Markt–Kennern einen Kosten–Vorteil von drei bis vier Mark pro Kilogramm. Die Einfuhrpapiere für die Ware des Belgiers, unterschrieben von Amts–Veterinär Kaiser aus Bastogne, bescheinigten regelmäßig ausdrücklich, daß das Produkt „keine bebrüteten Eier“ enthalte. Stutzig machte die deutschen Behörden aber, daß nach den Papieren die Ware jeweils an ein– und demselben Tag produziert worden war, die Genußtauglichkeitsbescheinigung erhalten hatte und beim Zoll abgefertigt worden war, was nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Auch die Rechnung, wie sie beispielsweise bei einer Fleischwarenfabrik in der Nähe von Stuttgart beschlagnahmt wurde, trug jeweils den unmißverständlichen Hinweis: „Hergestellt aus fri schen Hühnereiern der Güteklasse A, in jeder Hinsicht den lebensmittelrechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland entsprechend.“ Was das Staatliche Tierärztliche Untersuchungsamt Stuttgart den zuständigen Polizeibehörden als Untersuchungsergebnis mitteilte, liest sich so: „Fäkal–fauliger Geruch. Auf eine Geschmacksprobe wurde verzichtet. Bakteriologischer Befund: Es wurden 850.000 lebende vermehrungsfähige Fäkalstreptokokken in einem Gramm Eiweiß nachgewiesen.“ Die Fleischwarenfabrik verarbeitete beispielsweise von Januar bis März 10.752 Kilogramm dieser stinkenden Brühe aus verdorbenem Ei, Hühner–Kot und Bestandteilen abgestorbener Küken– Embryonen zu vakuumverpackten Maultaschen, die zu 80 Prozent an sämtliche Lebensmittelketten und Großhändler im süddeutschen Raum und zu 20 Prozent nach Nord– und Westdeutschland gingen. Auf eine Rückrufaktion wurde im Einvernehmen mit dem zuständigen Veterinäramt wegen Aussichtslosigkeit verzichtet. In Behördenkreisen wie auch in der Lebensmittelwirtschaft wird darauf verwiesen, daß es sich genau genommen auch um einen Skandal der Europäischen Gemeinschaft handelt, die das nach dem ersten Flüssig–Ei–Skandal erlassene Verbot, bebrütete Eier zu Lebensmitteln zu verarbeiten, nicht mit „Zähnen“ ausgestattet hatte. Detlef Rudel

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