: „Es ist ein Teufelskreis der Gewalt“
Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der „Demokratischen Initiative“ im Kosovo ■ I N T E R V I E W
taz:Von wem geht die Gewalt im Kosovo aus?
Veton Switou: Eine Gesellschaft, die mit der Gewalt lebt, ist krank. Ihre Strukturen sind krank. Gewalt dominiert die Beziehungen zwischen der Bevölkerung und dem Regime. Das Regime braucht Gewalt, stachelt sie geradezu an, denn es braucht Feinde. Die Demonstrationen und die Gewalt in den Straßen nähren nur den repressiven Charakter dieses Systems. Es ist ein Teufelskreis der Gewalt. Diese Gewalt beginnt nicht dort, wo das Volk protestiert, sondern dort, wo das Regime unfähig ist, zuzuhören und den Kern des Protests zu begreifen. Der Weg meiner Organisation, des „Demokratischen Bundes“, ist demokratisch und absolut gewaltlos. Wir streben die parlamentarische Demokratie an, dies ist das Minimalprogramm, mit dem wir in den Dialog mit der Macht eintreten können.
Gibt es ein Konzept zukünftiger Regierungsarbeit ?
Wir haben drei Aufgaben: Erstens gilt es, die Gewalt zu stoppen. Zweitens: alle politischen Kräfte müssen eine Übergangsperiode vom derzeitigen Regime zur parlamentarischen Demokratie akzeptieren. Drittens muß ein offener Dialog aller politischen Kräfte geführt werden mit dem Ziel, die Verfassung zu ändern und demokratische Gesetze zu verabschieden.
Wie sehen Sie die angespannte wirtschaftliche Situation im Kosovo?
Vordringlichstes Ziel ist die Schaffung der Grundlagen der parlamentarischen Demokratie. Darüber hinaus haben viele von uns Sympathie gegenüber sozialdemokratischen Programmen im Westen. Solange Gewalt die Straße beherrscht, kann man aber nicht gegen Arbeitslosigkeit kämpfen. Persönlich glaube ich, daß unter den Gegebenheiten der parlamentarischen Demokratie nur der freie Markt als Regulator wirken kann. Ein weiteres Problem sind ausländische Investitionen. Die Arbeitskraft ist billig, und ich könnte mir einen Entwicklungsplan nach italienischem Vorbild denken. An die Stelle des bisherigen Bundesfonds für Unterentwicklung sollte so etwas wie eine Entwicklungsbank treten, die aussichtsreiche Projekte fördert. Es müßten Bedingungen geschaffen werden, daß das Bundesbudget gleiche Rechte für den Schulbesuch, das Gesundheitswesen usw. garantiert.
Streben Sie eine Parteigründung an?
Die „Jugoslawische Demokratische Initiative von Pristina“ ist ein freier Zusammenschluß, der den demokratischen Protest bündeln und rationale Wege zur Lösung unserer Probleme finden will.
Welche Rolle spielt die Religion in diesem Konflikt ?
Überhaupt keine. Es geht um den Zusammenstoß zwischen fast der gesamten Bevölkerung und einem unterdrückerischen System. Einige ethnische Besonderheiten gibt es, aber im Kern geht es gegen ein gewaltsam aufgezwungenes System.
Glauben Sie, daß die verantwortlichen Stellen auf Ihre Forderung nach einem umfassenden Dialog doch einschwenken werden ?
Zunächst einmal glaube ich, daß sie uns nicht mit Antipathie begegnen, da liegt also eine Chance. Da sie unfähig sind, die Situation zu bewältigen, müssen sie einfach den Dialog eröffnen. Hinzu kommt, daß wir in der Initiative Gewalt ablehnen und die parlamentarische Demokratie anstreben.
Haben Sie schon Kontakte zu anderen demokratischen Gruppen und Parteien aufgenommen ?
Über direkte Kontakte verfügen wir nicht, weil die derzeitige Situation das nicht zuläßt. Natürlich haben wir einen intensiven Austausch mit den Schwesterorganisationen unserer Gruppe in den anderen Republiken. Ich glaube, in nur wenigen Wochen können wirim Kosovo und ganz Jugoslawien mit einer breiten alternativen Solidarität für unseren Weg rechnen. Das Gespräch führten Susanna Husemann
und Pierre Alozi
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