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Es gibt keinen Staat mehr in Albanien

■ Im Hafen Durres entern Hunderte Albaner einen Frachter. In Tirana ist die öffentliche Ordnung völlig zusammengebrochen. Die Unruhen greifen jetzt auch auf die größte nordalbanische Stadt Skodra über

Tirana (dpa/taz) – Im albanischen Hafen Durres ist gestern ein nach Italien auslaufendes Schiff von mehreren hundert Albanern gestürmt worden. An Bord des Frachters „Giorgios“ befänden sich wahrscheinlich 350 bis 400 Albaner, teilte das Hafenamt im süditalienischen Bari mit. Nach ersten Berichten sollen viele der Flüchtlinge bewaffnet sein. Darüber hinaus habe es in Durres noch mehrere Versuche gegeben, auslaufende Fähren zu besetzen, teilten die italienischen Behörden mit.

In Tirana ist die öffentliche Ordnung gestern völlig zusammengebrochen. Augenzeugen berichteten, Menschengruppen zögen plündernd durch die Straßen. Die Polizei schreite nicht ein. Die Armeedepots seien praktisch unbewacht. „Wer kann, holt sich einfach aus den Armeebeständen Waffen und Munition“, berichteten Journalisten in Tirana.

Das Land befinde sich in völliger Auflösung, meinte auch Arta Dade, eine hochrangige Vertreterin der Sozialisten, die dem Übergangskabinett angehören. „Es sind keine Polizisten und Soldaten mehr im Einsatz, sie sind alle fort.“ Dade beschuldigte Demokraten und den Geheimdienst SHIK, den Einsturz der staatlichen Strukturen zuzulassen, um das Land in Chaos und Anarchie zu stürzen.

Seit dem Morgen ist der internationale Flughafen von Tirana „aus Sicherheitsgründen“ geschlossen.

Die Unruhen haben auch die Stadt Skodra erfaßt, die größte Stadt im Norden des Landes. Wie Mitarbeiter von Krankenhäusern berichteten, wurden bei Protesten am Mittwoch abend vier Menschen getötet und mehr als 40 verletzt. Die Aufständischen plünderten die Waffendepots mehrerer Kasernen in der Stadt und in umliegenden Ortschaften. Zahlreiche Explosionen und Querschläger hätten Menschen getötet und verletzt. 22 Menschen wurden im Krankenhaus behandelt. Gestern morgen wurden noch Verletzte ins Krankenhaus eingeliefert.

Präsident Sali Berisha hatte auf die wochenlangen Proteste mit der Bildung einer Übergangsregierung, angekündigten Neuwahlen und der Ausrufung einer Amnestie reagiert. Der neue Regierungschef, Bashkim Fino, befürwortet Verhandlungen mit den Aufständischen und deren Entwaffnung.

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