: „Es gibt kein neues 1999“
SPD-Chef Peter Strieder fürchtet weder die schlechte Wirtschaftslage noch Frank Steffel. Zur Not müsse die SPD auch mit einer PDS zusammenarbeiten, die sich nicht für den Mauerbau entschuldigt
InterviewROBIN ALEXANDER
taz: Die CDU trommelt schon, als sei Berlin mitten im Wahlkampf. Hat die SPD den Start verschlafen?
Peter Strieder: Wir haben unsere Hausaufgaben für diesen Wahlkampf erledigt: Alle Kandidaten sind aufgestellt. Unser Wahlprogramm ist verabschiedet. Die Rahmenplanung für den Wahlkampf ist fertig. Am 9. September geht es mit vielen dezentralen Aktionen richtig los. Die CDU hingegen hat einen glatten Fehlstart hingelegt. Ihr Spitzenkandidat Frank Steffel hat zwar Berater, aber noch keine Kandidaten. Niemand weiß, wann und ob die CDU überhaupt noch ein ordentliches Wahlprogramm aufstellen wird.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) präsentiert sich im Amt. Um die SPD ist es still geworden. Kann Wowereit denn die Wahl ganz allein gewinnen?
Wowereit ist zurzeit dabei, der Stadtpolitik eine neue Richtung zu geben. Natürlich nehmen die Leute das in erster Linie wahr. Aber wir machen keinen Regierungswahlkampf. Die SPD macht einen SPD-Wahlkampf mit dem Spitzenkandidaten Klaus Wowereit.
Halten Sie sich so zurück, weil führende Vertreter der SPD anders als Klaus Wowereit stark mit dem alten Senat identifiziert werden?
Nein. Wir präsentieren eine interessante Mischung aus Neuem und Erfahrung. Sie können so große Apparate wie die Verwaltungen nicht mit lauter Newcomern leiten. Da brauchen Sie schon senatserfahrene Leute. Aber keiner von denen, die für die SPD agieren, stammt aus alten Westberliner Zeiten. Wir sind alle weit nach der Wende erst in Ämter gekommen.
Meinen Sie nicht, dass der 35-jährige Steffel den Neuanfang glaubhafter verkörpert?
Jeder weiß: Landowsky hat Steffel großgezogen. Steffel ist sein Ziehkind, und er ist auch nicht anders als Landowsky. Bei der CDU gibt es keinen Neuanfang: Radunski hat die letzten beiden Wahlkämpfe für Diepgen gemacht, jetzt macht er den Wahlkampf für Steffel.
Berater hat Steffel jedenfalls schon präsentiert.
Sie meinen dieses Schattenkabinett? Herr Prechtl kandidiert vorsichtshalber auch als Oberbürgermeister von Rostock. Herr Bosbach sagt, er würde vielleicht einmal an einer Berliner Veranstaltung teilnehmen, aber ansonsten bleibe er Bundestagsabgeordneter. Und Frau Nolte wandert lieber, als Herrn Steffel zu beraten. Tolle Ratgeber. Ich verstehe ja, Steffel braucht Hilfe. Ein Ratgeber Radunski reicht da nicht.
Die Wirtschaftslage wird immer schlechter – im Bund wie in Berlin. Ein Problem für Ihren Wahlkampf?
Nachdem der Kanzler seinen Arbeitsplatz wieder eingenommen hat, werden die Mediendiskussionen der jüngsten Zeit rasch verebben.
Bei der letzten Wahl litt die Berlin-SPD auch unter dem Bundestrend.
Es gibt keinerlei Anzeichen, dass eine Situation wie 1999 eintritt. Auch wenn die Bundesregierung ihre Ziele nicht ganz erreicht, so hat sie doch die Arbeitslosigkeit gesenkt. Für die Wirtschaftspolitik in Berlin war die CDU zuständig. Auf Wirtschaftswachstum warten die Menschen in der Stadt schon lange.
Sie haben Gregor Gysi aufgefordert, sich für den Mauerbau zu entschuldigen. Gysi hat das abgelehnt. Ist die Sache damit erledigt?
Gysi verwendet einen semantischen Trick, indem er formuliert, die Mauer sei ein unentschuldbares Verbrechen, das er bedauere. Diesen semantischen Trick lassen wir nicht durchgehen. Es gibt einen eklatanten Unterschied zwischen Bedauern und Entschuldigen. Bedauern kann ich jedes Unglück, mich entschuldigen kann ich nur für etwas, an dem ich Anteil habe. Bei der geforderten Entschuldigung geht es uns nicht um Unterwerfung, sondern um das Eingeständnis einer moralischen Schuld der PDS als Nachfolgepartei der SED.
Gerade in der Berliner PDS bewegen sich doch einige in diese Richtung.
Ja, die junge Berliner Führung distanziert sich glaubhaft. Auch auf Parteitagen mag es dafür Mehrheiten geben. Aber in den Wohngebietsgruppen der PDS wird noch ganz anders geredet.
Warum sprechen Sie Gysi an, wenn Sie die Basis meinen?
Gerade Gysi hat doch in diesen Fragen nichts bewegt, solange er Parteivorsitzender war. Sowohl bei der Frage der Zwangsvereinigung von KPD und SPD als auch beim Thema Mauerbau. Gysi ist nicht bereit, wirkliche Konflikte mit der Mitgliedschaft der PDS auszutragen. Das mindert seine Glaubwürdigkeit.
Und mit so einem arbeiten Sie vielleicht bald im Senat zusammen!
Die Berliner SPD hat stark unter dem Totalitarismus im Ostteil gelitten. Die Hälfte der Partei ist uns abhanden gekommen. Den Genossen wurden die Berufsaussichten zerstört, zum Teil wurden sie verfolgt und misshandelt. Wir sind also stark an Aufarbeitung interessiert. Aber die neue Berliner Regierung hat in erster Linie die Aufgabe, Zukunftsfragen zu lösen.
Zur Not auch mit einer PDS, die sich nicht entschuldigt?
Die Wahlauseinandersetzung sollte um Zukunftskonzepte gehen. Ein Konzept zur Sanierung der Finanzen. Ein Konzept für Wissenschaft und Technologie, das fünf Jahre trägt. Ein Konzept für soziale Stadtentwicklung, das nicht monatlich bedroht ist von Haushaltssperren.
Sind die SPD-Konzepte denn wirklich so weit von denen der Union entfernt?
Die CDU hat doch offensichtlich gar nicht vor, ein Wahlprogramm vorzulegen, das von der Mitgliedschaft legitimiert wird. Für was kandidiert Herr Steffel also? Unser Ziel ist, dass Rot-Grün nach den Wahlen weiterregiert. Durch einen guten Wahlkampf und vor allem durch gute Arbeit im Senat.
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