: Es geht um Dominanz, nicht um Reform
Die USA machen den ägyptischen UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali zum Sündenbock für jene Probleme der Vereinten Nationen, die sie vor allem selbst verschuldet haben ■ Aus Genf Andreas Zumach
Die Tage von Butros Butros Ghali im Amt des UNO-Generalsekretärs scheinen gezählt. Zwar standen die USA am Dienstag mit ihrem Veto gegen eine zweite Amtszeit des 74jährigen Ägypters allein gegen die anderen 14 Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats. Und nach den Verfahrensregeln der UNO-Charta könnte die Generalversammlung, in der Butros Ghali sicher die für eine Wiederwahl erforderliche einfache Mehrheit der 185 Mitgliedsstaaten erhielte, die Entscheidung über den künftigen Generalsekretär auch ohne vorherige Empfehlung des Sicherheitsrates trifft. Doch das ist unwahrscheinlich.
Denn trotz ihres Votums für Butros Ghali in der ersten Abstimmungsrunde hat keines der vier ständigen Ratsmitglieder seinerseits ein Veto gegen jeden anderen Kandidaten angekündigt. Damit signalisierten Frankreich, Großbritannien, China und Rußland, daß ihre Unterstützung für den Ägypter nicht bedingungslos ist und sie sich auch andere Personen aus Afrika oder gar aus anderen Weltregionen auf dem höchsten UNO-Posten vorstellen können. Und selbst die Solidaritätsfront der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) bröckelt. Ghana hat bereits wissen lassen, es werde nun einen anderen „geeigneten Kandidaten“ vorschlagen. In New York besteht kein Zweifel daran, daß es sich dabei um Kofi Annan handelt, den bisherigen Untergeneralsekretär der UNO für Peacekeeping – der heimliche Wunschkandidat der USA. Von einem Generalsekretär Annan müßte die Clinton-Regierung noch weniger Widerspruch erwarten als vom bisherigen Amtsinhaber.
Anders als Washingtons Kampagne gegen Butros Ghali vorgibt, liegen die Gründe für dessen Abwahl jedoch weit weniger in seiner Person als in der erheblichen Veränderung objektiver Rahmenbedingungen für die UNO seit Beginn seiner Amtszeit im Januar 1992. Butros Ghalis Vorgänger Perez de Cuellar konnte in seiner zweiten Amtszeit zwischen 1986 und 1991 für die UNO eine Reihe von Erfolgen bei der Befriedung oder Lösung von Konflikten verbuchen (Afghanistan, Iran-Irak, Namibia, Kambodscha), die das Ansehen der Weltorganisation erheblich verbesserten. Möglich wurden diese Erfolge aber durch das Tauwetter zwischen den USA und der Sowjetunion nach dem Amtsantritt Michael Gorbatschows in Moskau 1985. Die UNO gewann neue Handlungsspielräume, so daß sich nach dem Fall der Berliner Mauer die Hoffnung verbreitete, nun könne die UNO endlich eine zentrale Rolle beim Streben nach einer neuen und gerechten Weltordnung spielen.
Auch die Bush-Regierung betonte Anfang der 90er Jahre die „multilaterale“ Ausrichtung ihrer Außenpolitik sowie den Willen zur „engen Kooperation“ mit der UNO. Doch schon der Golfkrieg im Frühjahr 1991 zeigte die tatsächlichen Interessen und Machtverhältnisse: Mit Bestechung und massiver Einschüchterung der Ratsmitglieder erzwangen die USA die Zustimmung des Sicherheitsrates zu der Militäraktion gegen Irak. Die UNO diente nur zur multilateralen Bemäntelung einer unilateralen Aktion. Seitdem ist die Dominanz der USA in der Weltorganisation noch stärker geworden.
Die Rhetorik von der „neuen Weltordnung“ und der „multilateralen Kooperation“ ist längst abgelegt. Völlig unverblümt erklärte Clintons UNO-Botschafterin Madeleine Albright kürzlich bei einem Vortrag in Washington, die UNO sei ein Instrument der US- Außenpolitik und diene den Interessen der USA. Das wiederum war schon bei der Wahl Butros Ghalis zum Generalsekretär im Spätherbst 1991 klar geworden: Der Ägypter war keineswegs der „Kandidat der Afrikaner“, als der er vielfach bezeichnet wurde, im Gegenteil. Vier Kandidaten der Organisation für Afrikanische Einheit waren zuvor von Frankreich, Großbritannien und den USA abgelehnt worden – Butros Ghali schließlich war genehm.
Aber viel bewegen konnte er nicht. In seiner „Agenda für den Frieden“ vom Mai 1992 schlug Butros Ghali vor, die UNO durch eine dem Sicherheitsrat und dem Generalsekretär unterstellte ständige Truppe bei Peacekeepingmissionen handlungsfähiger und von den Interessen oder der Einsatzbereitschaft einzelner Mitgliedsstaaten unabhängiger zu machen – der Vorschlag wurde von Washington, London und Paris im September 1992 ohne große Diskussion beerdigt. Die Einschätzungen und Empfehlungen des Generalsekretariats vor und während der Konflikte in Somalia, Bosnien und Ruanda wurden von den USA und anderen Ratsmitgliedern häufig in den Wind geschlagen, haben sich nachträglich aber meist als berechtigt erwiesen. Für die Pannen oder gar das Scheitern dieser Blauhelmoperationen machten die Regierungen in Washington und anderen westlichen Hauptstädten dann aber wieder die UNO und – besonders im Fall Bosnien – ihre zivile Führung, sprich Butros Ghali verantwortlich. Mit dem Ergebnis, daß das Ansehen der UNO zum Ende der Amtszeit des Ägypters auf dem Tiefpunkt seit ihrer Gründung 1945 gesunken ist.
Die Peacekeepingoperationen haben die Kosten explodieren lassen – von 600 Millionen US-Dollar im Jahre 1990 auf vier Milliarden Dollar 1994. Und die USA halten bis heute 1,5 Milliarden Dollar an Pflichtbeiträgen zurück. So war Butros Ghali schon in den letzten beiden Jahren zu einer „Reform“ nach Vorstellung Washingtons gezwungen, die der jetzt von der Clinton-Administration geforderte „Manager“ auf dem Stuhl des Generalsekretärs noch radikaler betreiben soll: massive Einsparungen und Abbau von Personal und Programmen vor allem in jenen Bereichen des UNO-Systems, die die USA für überflüssig halten. Mit den politischen Reformen, die zahlreiche Regierungen des Südens seit Jahren anmahnen, etwa nach einer Demokratisierung des Sicherheitsrats und einer Aufwertung der Generalversammlung, hat das nichts zu tun.
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