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Es fehlt an Leuten mit aktivem, aggressivem Temperament

■ betr.: „Eine feige Männerbande“ u.a., tazmag vom 17./18.1. 98

Staat, Armee, Polizei, Vollzug: Organisationen der Macht in denen Aktivität und Aggressivität nicht geduldet werden können, soweit und sofern sie die der Macht gesetzten Grenzen überschreiten oder gar Macht zur Zerstörung von Würde und Freiheit einsetzen wollen. In einer Republik. Rechtsradikale aber auch private Schickaneure, Mobber von Gemüt haben in den Institutionen der Macht nichts verloren. Wer auf Ermahnung und Schulung nicht reagiert, ist zu entlassen.

Wo aber sind die „vorgesetzten“ Offiziere, BeamtInnen, die stolz darauf sind, mit der Ausführung von Verfassung und Gesetz betraut zu sein, denen sie zumindest soviel wert ist, sie vor Machtgenießern und Übergreifern zu schützen? Es gab einmal einen Regierungspräsidenten Mitscherlich.

Andererseits ist Freiheit des Menschen ohne Aktivität und Ausleben von Aggressivität nicht möglich. Die Ideologien der Harmonie enden ebenso in Slavenverhältnissen wie andere Weltverwandlungspläne. Wohin sollen die aktiven, aggressiven Temperamente in einer Gesellschaft der Fußgängerzonen, des korrekten Denkens, des sanften Verhaltens? Nicht die Freizeit spreche ich an, wo Himalayabesteigung, Hundehaltung, Landrover nicht die einzige Möglichkeit sind, einen aktiven Spaß zu haben (die Zeitung hält auch das eine oder andere Plätzchen in Feuilleton und Kommentar bereit), sondern die ernst genommene Welt der Produktion, des Austauschs von Tätigkeit und Produkten. In unseren Köpfen ist zu wenig Interesse dafür. Also holen sie es sich, ausgeschlossen von uns, gegen uns. Wir sehen weg, wenn sie aus unserer Gesellschaft hinausgedrückt werden, und wir sehen weg, wenn sie sich im Gegenzug an den Rändern der Gesellschaft bedienen.

Überhaupt kommt der unterdrückte Seufzer der gesellschaftlich nicht verträglichen Aggressivität als ein gewaltiges Heulen hervor, wenn es um die gut ertragene Miesmachung von Minderheiten und Ausgestoßenen wie AsylbewerberInnen und Hilfeabhängigen geht. Welche Aktivität zum Beispiel die Umstellung des Staats aus einer Verwaltung des Rechts in einen Supermarkt für Steuerzahler erzeugen kann, hätte sich vor zehn Jahren kein Demokrat träumen lassen. Die Umschaffung von Beamten des Rechts in Funktionäre der Herrschaft, das hätte man der DDR zugetraut, aber doch nie der belächelten Betriebswirtschaft. – Und heute ist jeder Politiker, der auf sich hält, Betriebswirt.

Die Aggressivität ausblendende Legowelt bekommt auf diese Weise die Herrschaft über sich, die sie als Partnerin der Kommunkation nicht dulden wollte. Die Nachbarschaft hat keine Probleme, sie werden ihr ungeahnt auf eroberten Kinderspielplätzen und Marktplätzen wiederbegegnen. Dann darf wenigstens die Polizei aggressiv werden. Da schaut man wieder gern zu. Und aus dieser Freude ist die Macht gemacht, über die wir momentan verzweifelt den Schleier der Demokratie ziehen. Zu tun gäbe es genug. Es fehlt an Leute mit aktivem, aggressivem Temperament. Klaus Wachowski, Alzey

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