: Erzwungene Emigration
betr.: „Die Mathe-Nazis“, taz-Magazin vom 30. 8. 08
Die meisten dürfte es erstaunen, dass man der scheinbar objektiven Wissenschaft von den Zahlen einen rassistischen Dreh versetzen konnte. Meine Familiengeschichte ist eng damit verknüpft. Mein Vater Max Pinl (1897–1978) lehrte angewandte Mathematik und theoretische Physik an der Prager Karls-Universität, als im März 1939 deutsche Truppen in die Tschechoslowakische Republik einmarschierten. Zwei Tage später wurde er von der Gestapo verhaftet. Hintergrund war eine Vorlesung über Relativitätstheorie („jüdische Physik“), die er trotz Boykottaufrufen und Drohungen durch nationalsozialistische sudetendeutsche Studenten im Wintersemester gehalten hatte.
Er wurde kurz nach Kriegsbeginn entlassen, erhielt jedoch Berufsverbot an Universitäten. Spätfolge war eine Art nachgeholte Emigration: Weil 1945 die mathematischen Lehrstühle, zumindest in den Westzonen, alle besetzt waren (möglicherweise mit den Karrieristen, von denen Judith Luig schreibt), folgte er einem Ruf an die Universität Dacca (heute Bangladesch), vermittelt von dem vor den Nazis geflohenen Mitarbeiter des Tata-Instituts Bombay und vormaligen Professors der Mathematik in Berlin, Friedrich-Wilhelm Levi. Indiens Aufstieg zur IT-Macht ist auch der erzwungenen Emigration der deutschen MathematikerInnen zu verdanken. CLAUDIA PINL, Köln
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