Erstmals seit 1992: Weniger als drei Millionen Arbeitslose
Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist erstmals seit 16 Jahren unter die Drei-Millionen-Marke gefallen. Dass dies lange so bleibt, bezweifeln Experten allerdings.
NÜRNBERG rtr Trotz Finanzmarktkrise und Konjunkturflaute ist die Zahl der Arbeitslosen im Oktober bundesweit auf ein Rekordtief gesunken. Dabei wurde erstmals seit 16 Jahren die Drei-Millionen-Marke unterschritten. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) vom Donnerstag waren im Oktober 2.997.000 Männer und Frauen arbeitslos gemeldet - und damit so wenige wie zuletzt im November 1992. Die Arbeitslosenquote ging um 0,2 Punkte auf 7,2 Prozent zurück.
"Der Oktober hat das von vielen Menschen erhoffte Signal gebracht: Die Arbeitslosenzahl ist knapp unter drei Millionen gesunken", kommentierte BA-Vorstandschef Frank-Jürgen Weise die neuesten Arbeitsmarktdaten. Mittelfristig rechne er dennoch mit einem Anstieg der Erwerbslosigkeit, sagte Weise. Dadurch dürfte die Zahl der Erwerbslosen im Jahresdurchschnitt 2009 voraussichtlich um 30.000 auf 3,29 Millionen steigen.
"Dennoch rechne ich nicht mehr mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen in dem Maße wie in früheren Abschwungphasen", fügte Weise hinzu. Bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen gibt es in den neuen Ländern allerdings noch immer doppelt so viele Arbeitslose wie in den alten Bundesländern.
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) nannte den Rückgang der Zahl der Arbeitslosen angesichts der Krise ein "trotziges Zeichen der Zuversicht". Es zeige sich jetzt, dass die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 greifen und der Arbeitsmarkt weiter "wetterfest" gemacht worden sei, meinte Scholz am Donnerstag in Berlin. Er kündigte an, dass das Kurzarbeitergeld von derzeit 12 auf 18 Monate verlängert werde. Die Sozialleistung ersetzt den Lohnausfall, wenn Beschäftigte vorübergehend weniger arbeiten.
Weise erklärte, derzeit gebe es selbst in den von der Konjunkturflaute am stärksten betroffenen Branchen wie der Automobilindustrie keine Hinweise auf einen Abbau von Stammbelegschaften. Vielmehr versuchten die meisten Unternehmen, ihre Absatzflaute mit dem Abbau von Überstunden oder dem verringerten Einsatz von Zeitarbeitern zu überbrücken. Viele Unternehmensführungen prüften derzeit außerdem, ob sich mit Kurzarbeit Auslastungsprobleme vorübergehend abfedern ließen, berichtete BA-Vorstandsmitglied Raimund Becker.
Nach den Zahlen der BA nahm die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung weiter zu. Sie lag im August - neuere Zahlen gibt es nicht - mit 27,68 Millionen um 552.000 über dem Vorjahr. Mehr als die Hälfte des Beschäftigungszuwachses entfielen auf sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen. Nicht wenige davon sind Anstellungen bei Zeitarbeitsfirmen.
Die Grünen sehen die Bilanz nicht so rosig. Die Regierung habe den Ernst der Lage nicht erkannt. Die geplante Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung von 3,3 auf 2,8 Prozent sei ein "Kardinalfehler", hieß es in einer Erklärung. Die Linke wies darauf hin, dass viele der neuen Jobs Leiharbeitsplätze, Teilzeitstellen oder unterbezahlte Vollzeitjobs seien.
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