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„Erst müssen wir um Verzeihung bitten“

■ In Polen hat eine öffentliche Debatte über das polnisch–jüdische Verhältnis begonnen / Während Staat und katholische Kirche die Geschichte verdrängen und viele Jugendliche von Auschwitz nichts mehr wissen wollen, erregt ein Krakauer Literaturwissenschaftler Aufsehen mit seiner Forderung nach einem Schuldbekenntnis

Von Martin Pollak

„Vielleicht ist es ein Stückchen Trauerarbeit auf polnisch“, sagte ein Freund aus Warschau auf die Frage, wie er sich das zunehmende Interesse der polnischen Öffentlichkeit an jüdischen Themen erkläre. Was jahrelang verschwiegen oder negativ dargestellt wurde, ist seit einiger Zeit für Medien und Wissenschaftler zum Thema geworden: die Geschichte der Juden in Polen, ihr Anteil an der polnischen Kultur, der Holocaust, aber auch die komplizierten, emotionsgeladenen polnisch– jüdischen Beziehungen in der Nachkriegszeit. In vielen Arbeiten, die jetzt zu diesem Thema erscheinen, schwingt unüberhörbar ein Ton der Trauer über einen Verlust mit, den Polen durch die Vernichtung der Juden erlitten hat. „Mit bitterer Ironie müssen wir feststellen“, schreibt etwa der bekannte Historiker Stefan Kieniewicz in einem Aufsatz über das Verhältnis von Polen und Juden im 19. Jahrhundert, „daß es uns heute, da das polnische Judentum der Vergangenheit angehört, um vieles leichter fällt, den positiven Beitrag der Juden zur polnischen Geschichte anzuerkennen.“ Mein Freund aus Warschau hatte ein paar Neuerscheinungen polnischer Verlage mitgebracht, darunter eine dicke wissenschaftliche Untersuchung über „Die polnische Sprache der Juden“ sowie den von der Warschauer Kultusgemeinde heraus gegebenen „Jüdischen Kalender für das Jahr 5747 (1986/87)“, ein luxuriös ausgestattetes Werk, von dem 5.000 Exemplare aufgelegt wurden. Just so viel, wie nach (optimistischen) Schätzungen heute noch Juden in Polen leben. Ist das nun Trauerarbeit oder eine Alibihandlung? Die wichtigsten Beiträge zur neu erwachten Diskussion über die jüdische Frage, die sozusagen in Abwesenheit der Juden stattfindet, erscheinen in der katholischen Presse, voran die Krakauer Wochenzeitung Tygodnik Powszechny. Ihr Chefredakteur Jerzy Turowicz gehörte zu den Initiatoren der zweiten Auschwitzer Woche vor einigen Wochen. Im Vordergrund standen neben dem jüdisch–christlichen Dialog die polnisch–jüdischen Beziehungen, die bis heute zu wünschen übrig lassen. Daß gerade Auschwitz als Ort dieses Treffens gewählt wurde, war vielleicht als versöhnliche Geste in Richtung jener Juden gemeint, die in letzter Zeit wiederholt die katholische Kirche Polens heftig kritisiert hatten. Anlaß war die Initiative des Bischofs von Krakau, im ehemaligen KZ Auschwitz ein Karmeliterkloster einzurichten. Jüdische Organisationen protestierten gegen die „Entweihung geheiligten Bodens“ und den - wie sie sagten - Versuch katholischer Kreise, Auschwitz für sich in Anspruch zu nehmen, um das jüdische Leiden zu verdrängen. Daß nun auch im ehemaligen Vernichtungslager Sobibor, wo ebenfalls überwiegend Juden ermordet wurden, eine unscheinbare Kapelle mit viel Aufwand erweitert wurde, dürfte kaum dazu beitragen, solche Befürchtungen auszuräumen. In erfreulichem Gegensatz zu dieser nicht eben feinfühligen Haltung der Kirchenführung steht ein Essay des brillanten Krakauer Literaturwissenschaftlers Jan Blonski, der in Tygodnik Powszechny erschien und größeres Aufsehen erregte: „Arme Polen sehen das Ghetto“. Es handelt sich um die Nacherzählung eines Gedichtes von Czeslaw Milosz - „Armer Christ sieht das Ghetto“, das von der Zerstörung des Warschauer Ghettos im Jahre 1943, aber auch von der Angst der (polnischen) Christen, „zu den Gehilfen des Todes“ gerechnet zu werden, handelt. Solche Gehilfen hat es ja tatsächlich gegeben, etwa die sogenannten „Szmalcowniks“, die untergetauchte Juden aufspürten und an die Gestapo verrieten. Es ist kein Zufall, daß sich Blonski ausgerechnet auf Milosz beruft: Dieser hat mehrmals unmißverständlich an die Pflicht der polnischen Dichtung erinnert, einen Beitrag zur „Reinigung der Heimaterde“ zu leisten. Damit kann nach Blonski nur eine Reinigung vom jüdischen Blut gemeint sein, das in der Zeit der deutschen Besetzung auf polnischem Boden vergossen wurde. Zwar nicht durch die Polen selber, aber doch vor ihren Augen. Natürlich gibt es in Polen genug Stimmen, die fordern, nun müsse endlich ein Schlußstrich gezogen werden, man dürfe die jüdischen Verluste nicht überbewerten, keinesfalls könne man auch nur von einem Schatten der Mitschuld der Polen sprechen. Das ist der offi zielle Standpunkt, den alle jene teilen, „die sich insgeheim freuten, daß Hitler für uns die jüdische Frage erledigt hat“ (Blonski). Aber auch von Jugendlichen bekommt man zu hören, sie wollten von diesem Schrott nichts mehr wissen - was hätten sie mit Auschwitz zu schaffen? Blonski dagegen erinnert an die gemeinsame Geschichte, die nicht ohne Schattenseiten ist. „Wir haben die Juden in unser Haus aufgenommen, aber wir ließen sie im Keller wohnen.“ Unnachsichtig kratzt Blonski an dem von der offiziellen Geschichtsschreibung gemalten Bild von der toleranten, großzügigen Haltung, welche die Polen durch die Jahrhunderte ihren jüdischen Mitbürgern entgegengebracht hätten. „Hören wir doch auf, uns zu verteidigen, uns zu rechtfertigen... die Schuld auf die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Umstände zu schieben. Zuerst müssen wir sagen: Ja, wir sind schuldig!... Wir verlangen oft von den Juden (oder ihren Freunden) eine ausgewogene, gerechte Einschätzung unserer gemeinsamen Geschichte. Erst einmal aber müssen wir unsere Schuld eingestehen und um Verzeihung bitten.“ Man darf gespannt sein, wie die Partei auf den Essay Blonskis reagiert. Denn jedermann in Polen weiß, daß die Aufforderung, sich bei den Juden für begangenes Unrecht zu entschuldigen, nicht zuletzt an die Partei gerichtet ist. Die letzte antisemitische Kampagne vor fast zwanzig Jahren, die Tausende Juden aus dem Lande trieb, wurde nämlich von der Kommunistischen Partei gesteuert.

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