: Ernsthaftigkeit des Kleinkriegs
■ Göttin und Hure – dazwischen Die Witwen von Widows Peak
Am Anfang seiner Karriere gerieten ihm, laut eigener Aussage, die Frauenfiguren entweder zu Göttinnen oder zu Huren – dazwischen gab es nichts. Nun ist John Irvin 15 Jahre im Actionfilm-Geschäft und hofft, mit Widows Peak jenes ominöse „Dazwischen“ in Szene gesetzt zu haben. Zwei von der Norm abweichende Frauen streiten um einen Platz in der Gesellschaft.
Diese Gesellschaft ist nicht jene der bösen Männer, aber ein mindestens ebenso autoritäres, eben komödiengerechteres Matriarchat im Irland der 20er Jahre. „Widows Park“ nennen die Stadtbewohner spöttisch den Hügel, auf dem sich wohlhabende, alte Witwen ein eigenes Reich geschaffen haben. Nur ihresgleichen darf in den hübschen Villen wohnen, Kontakte zu Männern – außer zu Grabpflegern – und Städtern sind verpönt, ausgenommen die lebensnotwendigen Beziehungen zu Anwalt, Zahnarzt, Dienstmädchen, Pastor und zum Sohn der Obermatriarchin (Joan Plowright). Eine Sonderstellung genießt Miss O–Hare (Mia Farrow), eine arme, magere, mittelalte, rosenzüchtende Jungfer.
Doch mit der Ankunft von Mrs. Edwina Broome (Natasha Richardson) bekommt die bevorzugte Außenseiterin Konkurrenz. Mrs. Broome ist normal, also reich verwitwet, außerdem jedoch jung, blond, kurvig, chic und Engländerin. Was Mißtrauen erzeugen könnte, gerät der knackigen Großstädterin zwischen vertrockneten Landschachteln zum Vorteil. Mühelos überzeugt Edwina die vom Teetrinken, Spitzendeckchenhäkeln, Tratschen und Beichten gelangweilten alten Damen von ihren ehrenwerten Motiven – nicht aber Miss O'Hare, die eifrig das Gerücht schürt, die „Neue“ sei eine sündenbeladene Lügnerin und potentielle Mörderin. Edwina dreht den Spieß um und piesackt Miss O'Hare mit Vermutungen über dunkle Punkte in der Vergangenheit der besitz- und berufslosen Frau, die ihr das luxuriöse Leben auf Widows Park ermöglichen. Alte Jungfer und junge Witwe beginnen mit lächerlicher Ernsthaftigkeit einen Kleinkrieg, der komisch in einen tragischen Existenzkampf ausartet. Niemand weiß schließlich, wer den Streit angefangen hat, wer recht hat, noch, warum er überhaupt geführt wird; trotzdem zieht er alles, Natur, Ding und Mensch in seinen Bann. Abwechselnd setzen die Frauen sich ins rechte Licht, mit dem die Witwen ihnen und auch den Zuschauern leuchten – bis uns endlich selbst ein Licht aufgeht und wir die Lampe des Regisseurs entdecken.
„Göttin“ und „Hure“, es gibt sie tatsächlich nicht in Widows Park; sie werfen nur schablonenhafte Schatten, mit denen zwei Frauen so lange spielen, bis es ernst wird. Was am Ende „dazwischen“ herauskommt, ist Ansichtssache.
May Mergenthaler
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