■ Erneut Bedenkliches: Zurück zu Michelangelo!
Obwohl die Ausbildungszeiten seit Jahrhunderten immer länger werden, nehmen die Menschen allgemein an Klugheit nicht zu: Beweise dafür sind, auch in dieser Zeitung, täglich neu zu finden. So ist es uns selten vergönnt, beispielsweise die intellektuellen Turnübungen der Scholastiker in der Gegenwart neu zu erleben – atemberaubende Reflexionen darüber, wie der Teufel in die menschliche Seele gerät, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz haben und warum das Weib zugleich ein Tier und doch auch böse sein kann: lang ist's her, und unsere Universitäten taugen offensichtlich wenig.
Unter den wenigen öffentlichen Übungsplätzen logischer Akrobatik mit Bruchfolge – Atomenergie, RAF-Prozesse, Sitzblockadeverhandlungen, Chemie fürs Leben – nimmt der Nebenwiderspruch noch immer eine hervorragende Position ein, denn keinerlei Fachwissen ist erforderlich, um sich dort zu bewähren: Mann, Weib oder ein Drittes sind wir doch irgendwie alle.
Und so reproduzieren wir uns auch: demokratisch, wie es sein muß, seit Demokratie und Marktwirtschaft alternativlos und damit (seien wir ehrlich!) auch ein bißchen graumeliert geworden sind. Sogar das Bundesverfassungsgericht empfiehlt, Sexualität und Empfängnisverhütung demokratisch, also „gleichberechtigt und partnerschaftlich“ zu betreiben, was in Folge naturgemäß bedeutet, die Vermeidung einer Schwangerschaft nicht dem Weibe allein zu überlassen.
So weit, so schön und so modern. Was aber tun, wenn eine Richterin dann doch ihr vielleicht persönliches Schicksal, in jedem Falle aber die allgemeine Erfahrung zur Norm macht und die kostenlose Verhütung auf Pille und Spirale beschränkt – weil ja schließlich die Frauen „die Hauptbetroffenen einer ungewollten Schwangerschaft“ sind? Und dann noch an eine Mutter gerät, die für ihren Sohn die Möglichkeit zum partnerschaftlichen Verhalten einklagt? Seltsame Zeiten sind es, da wir dem Verfassungsgericht dankbar sein müssen, daß es die Wahrheit ausspricht, selbst wenn es nichts hilft.
Die Erschaffung Adams erfolgte, wie wir seit Michelangelo genau und farbig wissen, gewissermaßen von Mann zu Mann und mit dem nackten Finger. Dies war nicht vor der Erfindung des Kondoms, aber vor der Etablierung einer Pharmaindustrie, die an den Frauen mittels Hormonbehandlung, Spiraleneinsatz, In-vitro-Befruchtung u. a. gewinnbringend herumdoktert, daß es eine Lust ist, und im übrigen daran arbeitet, mittels Reagenzglasgebärmüttern das Weib (die Hexe, die böse Mutter Natur) gänzlich überflüssig zu machen. Bis dahin ist der Weg nicht weit, so daß, wenn die selbstbewußte Mutter für ihren Sohn die partnerschaftliche Verhütung endgültig eingeklagt haben wird, dieselbe wohl kaum mehr eine Rolle spielt. Diese ganze schwitzende Angelegenheit des Zeugungsaktes wird uns dann schon so atavistisch erscheinen wie heute noch Michelangelo: die Geschichte wiederholt sich eben doch. Und immer in ihren entbehrlichsten Passagen. ES
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