Telegram-Chef frei gegen 5 Millionen Euro Kaution

In Frankreich wird nach viertägiger Haft ein Verfahren gegen den russisch-französischen Unternehmer Durow eingeleitet. Im Netz kursieren derweil Gerüchte

Aus Paris Rudolf Balmer

Nach einer fast viertägigen Polizeihaft ist der russisch-französische Internet­unternehmer Pawel Durow in Paris am Mittwochabend auf freien Fuß gesetzt worden – gegen ein Zahlung von 5 Millionen Euro Kaution. Er darf jedoch bis auf Weiteres Frankreich nicht verlassen und muss sich zur Kontrolle zweimal pro Woche auf einem Polizeikommissariat melden.

Im Anschluss an die Befragungen in Polizeihaft wurde ein Ermittlugsverfahren gegen den Gründer des Messenger-Dienstes Telegram eingeleitet, das zu einer Anklage vor Gericht führen könnte. Die französische Justiz will Durow wegen Beihilfe zu Cyberkriminalität verantwortlich machen. Ihm wird vorgeworfen, nichts gegen kriminelle Aktivitäten (Waffen- und Drogenhandel, Verbreitung pädopornografischer Inhalte) auf Telegram-Kanälen unternommen und jede Herausgabe von Informationen an Justizbehörden verweigert zu haben. Durow hatte im Namen der uneingeschränkten Freiheit und zum Schutz der weltweit rund einen Milliarde Telegram-Nutzer jegliche „Zensur“ oder Eingriffe in die Privatsphäre der verschlüsselten Kommunikationen abgelehnt.

Mit diesem als Exempel für andere Internetplattformen dienenden Vorgehen möchten die französischen Justizbehörden ein Signal senden: Die Epoche, in der Digital-Giganten unbehelligt jede Verantwortung für unkontrollierte Aktivitäten zurückweisen konnten, ist vorbei. Ein Prozess gegen Durow könnte in dieser Hinsicht einen Präzedenzfall schaffen.

Schon die Festnahme des 39-Jährigen am Samstag hatte weltweit Aufsehen ausgelöst und lieferte Material für Gerüchte und Spekulationen. Laut der satirischen Wochenzeitung Le Canard enchaîné habe der überraschte Durow vor den Beamten behauptet, er werde vom Staatspräsidenten Emmanuel Macron im Elysée-Palast zu einem Dinner erwartet. Das hat der französische Staatschef umgehend dementiert, er sei am Samstag gar nicht in Paris gewesen. Laut Recherchen der Zeitung Le Monde hatte Macron Durow jedoch früher mehrmals getroffen, so beispielsweise 2018 zu einem Geschäftsessen, das in der offiziellen Agenda des Präsidenten nicht aufgeführt war.

Auf X kursieren derweil Spekulationen, Durow habe sich absichtlich gestellt, weil er sich vom russischen Geheimdienst bedroht gefühlt habe. Die Beziehungen Durows zu Putin und seinem Nachrichtendienst FSB sind komplex. 2014 flüchtete er offiziell aus Russland und wohnt seither in Dubai. Seine Plattform wird sowohl von Oppositionskreisen als auch von der staatlichen Propaganda genutzt. Sowohl die Regierung als auch Putin-Kritiker empörten sich über die Festnahme. Plausibel tönt der Hinweis, Durow gehe mit Telegram echte Risiken ein, weil die App von russischen Ministern und Beamten sowie vom Militär bei der Koordination der Offensive gegen die Ukraine benutzt werde. Würde Durow also, entgegen seiner bisherigen Weigerung, einer europäischen Behörde Informationen oder den Zugang zur Verschlüsselung bei Telegram geben, könnte dies für Moskau und die Fortsetzung des Krieges gegen die Ukraine fatale Folgen haben. Durows Anwälte hatten gleich nach der Festnahme versichert, ihr Klient habe nicht die Absicht, mit der Justiz zu kooperieren.

Weiterhin dubios erscheinen die speziellen Umstände, unter denen Durow 2021 die französische Staatsbürgerschaft erhalten hat. Er erfüllte keines der Kriterien für eine normale Einbürgerung und hatte den Pass im Eilverfahren dank einer speziellen Prozedur erhalten, die Personen vorbehalten ist, die besondere Leistungen zugunsten Frankreichs erbracht haben. In welcher Weise Durow sich um Frankreichs Interessen verdient gemacht habe, sagt das Außenministerium unter Berufung auf das Amtsgeheimnis nicht. Le Monde kommt zum Schluss, dass dem Antrag nicht ohne Wissen oder Zutun des Staatschefs stattgegeben werden konnte.

Wenig später wurde Durow zudem erlaubt, auf seinem Pass den französischer klingenden Namen Paul du Rove eintragen zu lassen. So viele Gunstbezeugungen werfen Fragen auf. Die gute Nachricht für Durow könnte sein, dass Frankreich eigene Staatsbürger nicht an die US-Justizbehörden ausliefert. Auch die versuchen schon länger, Kontrolle über Telegram zu erhalten. Inzwischen haben die französischen Behörden offenbar auch einen Haftbefehl gegen Durows Bruder und Telegram-Mitgründer Nikolaj erlassen, wie Politico unter Berufung auf Ermittlerkreise berichtete. Sein Aufenthaltsort sei derzeit unbekannt.