: Ermahnungen von allen Seiten
Auf der Ost-West-Wirtschaftskonferenz wird der Transformation zur Marktwirtschaft zentrale Bedeutung für den Aufbau in Osteuropa zugemessen/ Industrieländer sollen Märkte für Ost-Produkte öffnen ■ Aus Münster Donata Riedel
Soviel Grün hatten die Menschen in Münster noch nie gesehen. Nachdem ein Farbbeutel die Limousine der deutschen Delegation rot gesprenkelt hatte, das japanische Fahrzeug eidottergelb glänzte, zeigte die Polizei ihre Präsenz gleich hundertschaftenweise vor dem Münsteraner Rathaus. Selbst das 200 Meter vom Tagungsort entfernte Pressezentrum war am Samstag von mehr Polizisten als Journalisten bevölkert. Und im Rathaus wurden die Delegationen des West-Ost-Wirtschaftsgipfels dann für die Schlußberatungen abgeschirmt. Am Freitag noch war es mehreren JournalistInnen gelungen, sich unter die Zuarbeiter der Minister zu mischen und in einem Nebenraum über das Dolmetschersystem den Diskussionen zu folgen, die eigentlich nicht-öffentlich sein sollten.
Nach dem Zusammenbruch der Planwirtschaften und der Auflösung der Sowjetunion war die Bilanz der Wirtschafts-, Handels- und Industrieminister nüchtern. „Wir haben bisher in den Reformländern vor allem Zusammenbrüche gesehen“, sagte der britische Handelsminister Richard Needham. Das private Kapital aus dem Westen, das maßgeblich den Aufbau der Marktwirtschaft leisten soll, gibt es östlich der Bundesrepublik noch kaum. Und die Joint-ventures, die es in den GUS- Staaten bisher gebe, seien Kooperationen mit den großen Staatsunternehmen, beschwerte sich Boris Markewitsch, Präsident eines ukrainischen Unternehmerverbandes. Er verstehe, daß es für westliche Regierungsvertreter am einfachsten sei, mit beamteten Staatssekretären zusammenzuarbeiten. Aber die so gerne beschworene Unterstützung kleinerer und mittlerer Unternehmen erreiche man so keineswegs.
Der alte Glaubenssatz der G-7- Staaten, daß Privatisierung schnell zu Wachstum und damit zu neuen Arbeitsplätzen führe, wurde als reine Lehre lediglich von der amerikanischen Handelsministerin Barbara Franklin und ihrem japanischen Kollegen Kozo Watanabe vertreten. „Wenn wir die Prinzipien des freien Marktes dort umsetzen, können wir nach den Sternen greifen“, rief Franklin den 15 Delegationen zu. Die westeuropäischen Minister, geographisch näher dran an den Problemen, äußerten sich durchgängig vorsichtiger. Es gebe keine Patentrezepte für den Umbau von Plan- in Marktwirtschaften, meinte der Brite Needham. Besonders in den GUS-Staaten mache es wohl wenig Sinn, die großen Kombinate schnell zu privatisieren. Diese Monopole müßten zunächst entflochten werden. Der Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), Jaqches Attali, schlug gar ohne allzu heftige Gegenreaktionen vor, die Großindustrie zunächst zu sanieren, bevor man zur Privatisierung schreite. Die deutsche Haltung sei „abwägend“, heißt es dazu in einem Hintergrundpapier aus dem Wirtschaftsministerium.
Der ungarische Wirtschaftsminister Bela Kadar gab zu bedenken, daß es ohnehin in Zeiten der Rezession schwierig sei, Unternehmergeist zu zeigen. Man dürfe schließlich die Profiterwartungen nicht außer acht lassen, die auf längere Sicht in Osteuropa nicht allzu gut seien. Und besonders die hochrangigen westlichen Wirtschaftsvertreter forderten von den G-7-Staaten, ihre Aufmerksamkeit auf die sozialen Probleme in allen Reformstaaten zu richten. Denn wie, so gaben sie unisono zu bedenken, sollten die Menschen Vertrauen in das neue System Marktwirtschaft gewinnen, wenn es ihnen objektiv schlechter gehe als vorher?
Die Abschlußerklärung des West- Ost-Gipfels appelliert auch an westliche UnternehmerInnen, ein Angebot für betriebliche Aus- und Fortbildung für die östlichen Staaten bereitzustellen. Gefördert werden sollte eher der Mittelstand, der auch im Westen die „Säule der Marktwirtschaft“ sei. Die Reformstaaten und die GUS sollten möglichst bald ein funktionierendes Bankensystem schaffen und einfache, verläßliche Gesetze für die Wirtschaft erlassen. Im Abschlußdokument sprechen sich die G-7-Minister auch dafür aus, die Märkte ihrer eigenen Länder möglichst schnell für Waren aus den Reformstaaten und den GUS-Ländern zu öffnen, die ihnen jetzt weitgehend durch Einfuhrbeschränkungen verschlossen sind.
Ziel der neuen internationalen Runde der 15 Länder, die sich einmal im Jahr zum West-Ost-Gipfel treffen soll, ist es laut Möllemann, „ein Umfeld zu schaffen für die freie Entfaltung unternehmerischer Initiative“. Alle Delegationen betonten ihr Interesse an einer Fortsetzung der Kontakte in der in Münster erstmals erprobten Form. Die Umgangsformen allerdings sind durchaus verbesserungswürdig. Die amerikanische Delegation schaffte es nicht, gegenüber den Ost-Ländern einen partnerschaftlichen Tonfall zu finden und begann jeden Satz mit „Sie müssen...“ oder einem belehrenden „wenn Sie nicht...“ Den größten Fauxpas erlaubte sich ausgerechnet Gastgeber Möllemann. Als der Vorsitzende des japanisch-russischen Wirtschaftskomitees, Isama Yamashita, seine Ausführungen über Privatisierung beendet hatte, sagte er: „Sind Sie schon fertig? Ich habe gerade gar nicht zugehört.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen