■ Der Anschlag auf die Lübecker Synagoge ist aufgeklärt: Erleichterung und Scham
Mölln – Solingen – Lübeck: drei exemplarische Fälle für rassistisch und antisemitisch motivierten Mord bzw. Mordversuch. Drei Fälle aber auch, bei denen es durch den massiven Einsatz von Polizei und Bundesanwaltschaft gelungen ist, die mutmaßlichen Täter rasch dingfest zu machen. Nichts wäre schlimmer gewesen, als eine auf Dauer unaufgeklärte Tat. Sie wäre ein Signal dafür, daß Mordbrennen, geschickt genug angestellt, ungesühnt bleiben kann. Vor ein paar Jahren sind Anschläge ähnlich dem von Lübeck noch langmütig als Sachbeschädigung verfolgt worden. Jetzt ist es versuchter Mord: Abschreckung durch schnelle Festnahmen und drakonische Strafandrohungen können Nachfolgetäter von ihrem Tun abhalten. Nach dem Pogrom von Rostock gab es eine Vielzahl solcher Nachahmer. Nach Mölln waren es schon weniger. Lübeck blieb, immerhin, ein isolierter Anschlag. Die schärferen Strafandrohungen scheinen etwas zu bewirken.
Erleichterung ist die erste Reaktion darauf, daß der Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge so schnell aufgeklärt werden konnte. Erleichterung und Scham: Von Beginn an gab es zwei Theorien über die möglichen Täter. Deutsche Rechtsradikale oder palästinensische Terroristen? Nein, wir können die Hintergründe des Attentats nicht bequem in den undurchsichtigen Nahen Osten ablagern, wir sind nicht der Verantwortung enthoben. Ganz offensichtlich kamen die Täter aus demselben Milieu wie schon in Mölln: Jungmänner, zum Teil arbeitslos und sozial deklassiert. Die „Mitte der Gesellschaft“ ist das sicherlich nicht. Aber dennoch sind es Millionen, deren soziale Lage so oder ähnlich geartet ist. Auch wenn die mutmaßlichen Täter keiner rechtsradikalen Partei angehören sollten, Ignatz Bubis hat recht, wenn er „Republikaner“, NPD und DVU als die „geistigen Brandstifer“ solcher Attentate bezeichnet. Sie liefern die Folie ab, die Täter brauchen sie nur noch abzukupfern.
Was tun? Wir können nicht alle alkoholgefährdeten Jugendlichen Deutschlands mit nächtlichem Ausgehverbot belegen. Wir können nicht alle Synagogen, Moscheen, islamische und jüdische Friedhöfe mit Polizeikordons sichern. Wir können, möglicherweise, die „Republikaner“ verbieten. Doch was wäre damit gewonnen, deren Führer in den Untergrund zu drängen? Diskussionen mit gestandenen Faschisten, das dürfte inzwischen deutlich genug geworden sein, ändern deren Meinung nicht, schaffen ihnen nur zusätzliche Publizität. Mit Jungmännern vom Schlage Lübecks aber muß diskutiert werden, vor ihren Taten versteht sich. Gerade weil das ideologische Weltbild von potentiellen Attentätern nicht so gefestigt zu sein scheint, eben weil Justiz und Polizei das Problem nicht alleine lösen werden, können Gespräche noch etwas in ihren Köpfen ändern. Bevor es, wie in Lübeck, zu spät ist. Klaus Hillenbrand
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