: Erinnerung ohne Tragik
Jedes Detail exakt gespeichert: Autorin Anke Gebert dokumentiert Zeitzeugenaussagen zu Mauerbau und -fall ■ Von Petra Schellen
Die Frau ist ganz schön mutig. Schreibt eine Mauerbau- und -fall-Dokumentation, wo doch insbesondere wir im Westen genauestens wissen, was für den Osten gut war und ist. Und deshalb brauchen wir uns auch gar nicht die Mühe zu machen, die Berichte jener zu lesen oder zu hören, die die 1960 in Halle an der Saale geborene, seit 1988 in Hamburg lebende Anke Gebert in dem Band Im Schatten der Mauer zusammengetragen hat, weil ihr der polnische Übersetzer Henryk Bereska bei einem Arbeitsaufenthalt eindringlichst von seinen Mauer-Erlebnissen erzählt hatte. Brauchen uns auch nicht mit den Erinnerungen einer Regine Hildebrand, eines Götz Friedrich, Manfred Stolpe oder Jo Brauner zu befassen.
„Ich wollte zuerst ein Buch über den Mauerfall machen“, sagt Gebert. „Aber eigentlich kann man über diesen Tag nichts sonderlich Qualifiziertes sagen, außer dass man das niemals gedacht hätte, dass man schwer bewegt war... all diese Sachen eben. Natürlich war der 9. November 1989 ein wichtiges Ereignis“, aber einschneidender sei in jedem Fall der Mauerbau gewesen.
Deshalb habe sie sich aufgemacht, Leute zu bemachte sie sich aufgemacht, Leute zu bfragen, die beide Tage erlebt hatten. „Da trat sehr Bewegendes zutage, denn die Leute erinnerten sich an jedes Detail dieses Sonntags, des 13. August 1961: Welche Radiosendungen sie gehört hatten, was sie gegessen hatten, stand ihnen 1988, als ich die Recherche anfing, messerscharf vor Augen. Einige haben geweint während der Gespräche, und ich war froh, dass ich keine Kamera dabei hatte.“
Und doch hätten alle Befragten ein großes Bedürfnis gehabt, über ihre Erinnerungen zu sprechen. Warum nur? Haben sie das alles nicht tausendfach durchgesprochen, bis zur Ermüdung in Interviews kundgetan? „Anscheinend nicht, jedenfalls waren diese Erlebnisse noch nicht verarbeitet“, mutmaßt Gebert, die auch private Fotos und Dokumente in ihr Buch aufnahm, aus dem sie Auszüge am Literaturtelefon liest. „Und vielleicht dachten die Menschen, dass dieses Buch eine gute Gelegenheit wäre, Außenstehenden zu einem tieferen Verständnis zu verhelfen.“
Dass das Interesse an Ostdeutschland-Themen im Westen derzeit nicht gerade überwältigend ist, blendet sie dabei keineswegs aus: „Der ganze Trubel im vorigen Jahr zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls hat die Leute missmutig gemacht. Und warum alle nach einem Wenderoman schreien, weiß ich auch nicht. Für eine differenzierte Aufarbeitung muss ein zeitlicher Abstand zum Geschehen da-sein“– ein Abstand, der für einige der Befragten anscheinend nicht groß genug war.
Dabei ging es Gebert keineswegs nur um Prominente: Möglichst vielfältige Geschichten sollten vertreten sein, etwa die einer Malerin, die sich am 13. August sorgte, wann sie denn nun ihren Mantel aus der Westberliner Reinigung holen sollte: „Ein Großteil der Leute hat damals nicht geglaubt, dass die Mauer von Dauer sein sollte. Allerdings haben sich dann viele schnell damit abgefunden; einer der Befragten war auch hocherfreut über den Mauerbau.“
Und vielleicht liegt hier der Vorzug des Buches, das natürlich trotzdem pünktlich zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls erschien: Darin, dass sämtliche Aussagen als ungeglättete, unkommentierte Monologe wiedergeben sind. Einfach nachgespürt hat Anke Gebert den Menschen – egal, ob ihr das, was sie sagten, gefiel oder nicht. „Gefallen ist kein Kriterium; es geht darum, Realität in ihrer Vielfalt darzustellen“; sagt sie.
Sie selbst habe sich in Hamburg zwar nie als Außenseiterin gefühlt, habe aber durchaus einige Merkwürdigkeiten registiert – wie zum Beispiel die Sprache: „Die feminis-tischen Endungen sagten mir anfangs nichts; im Osten haben Frauen sich wie selbstverständlich als „Traktorist“, „Fotograf“ oder „Ingenieur“ bezeichnet, und sie hatten auch – abgesehen vielleicht von der Doppelbelastung – tatsächlich keine Nachteile“. Inzwischen hat sie sich zwar angewöhnt, sich als Autorin zu bezeichnen, aber dass eine solche Endung tatsächlich Spiegel der Toleranz einer Gesellschaft ist, glaubt sie nicht so recht.
Sie mag all dies auch gar nicht so verbissen betrachten – ebenso wenig wie ihre Interviews: „Oft haben die Leute auch sehr lustige Sachen gesagt, so dass das Thema nicht ins Tragische abgleitet.“ Und mit solch humoristischen Elementen will Anke Gebert auch ihren vage geplanten Ost-West-Deutschland-Roman anreichern. Aber bis dahin müssen noch ein oder zwei Jahre vergehen, findet sie. Bis die Zeit reif ist für ein Gelächter, das weder bitter noch hämisch ist und das auch jene erreicht, denen vor lauter Ostdeutschland-Informationsüberflutung schon ganz übel ist.
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