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Erinnern, um die Zukunft zu gewinnen

■ „Erinnerung an die Zukunft“: Internationale Tagung sucht bis Donnerstag nach Strategien gegen Antisemitismus, Totalitarismus und Ausländerfeindlichkeit

Mit einem Festakt in der Humboldt-Universität wurde gestern nachmittag die zweite internationale Konferenz „Erinnerung an die Zukunft“ eröffnet. Sie steht unter der Schirmherrschaft von Ex- Außenminister Hans-Dietrich Genscher und wird unter anderem finanziert von der jüdischen B'nai B'rith Loge, den evangelischen Landeskirchen, dem Bundesinnenministerium, der Berliner Humboldt-Universität und der Hebrew University in Jerusalem.

Die erste Konferenz dieser Art fand 1988 in Oxford statt. Dabei ging es um die Beziehungen zwischen Juden und Christen nach Auschwitz. Ziel der diesjährigen Konferenz ist es, Analysen und Strategien gegen den Totalitarismus, den Antisemitismus, die Fremdenangst und die Ausländerfeindlichkeit zu finden. Sie läuft bis Donnerstag und steht unter der Frage „Vom Vorurteil zur Vernichtung?“.

Hans-Dietrich Genscher wies in seiner Eröffnungsansprache darauf hin, daß jede Gesellschaft anfällig dafür ist, Minderheiten auszugrenzen, wenn sie nicht aus der Geschichte lernt: „Wir brauchen eine Erinnerungskultur, wenn wir die Zukunft gewinnen wollen.“

Rund 500 Wissenschaftler, Politiker und Publizisten aus aller Welt nehmen an der Tagung teil. Angemeldet haben sich auch eine ganze Reihe amerikanischer und israelischer Rabbiner.

Die wissenschaftliche Konferenz ist aufgeteilt in 20 verschiedene interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppen, die sich mit den medizinethischen, psychologischen, theologischen, pädagogischen und historischen Folgen des Holocaust beschäftigen. Es geht insbesondere um die Frage, warum hochqualifizierte Berufsgruppen wie Ärzte prädestiniert waren, antidemokratischen Widerstand zu leisten.

Eine Veranstaltungsreihe heißt beispielsweise „Der Holocaust im Kontext von Schule und Lehrerbildung“, eine andere „Theologische Erinnerungskultur und Ethik“. Alle Arbeitsgruppen veranstalten zusätzliche Plenarveranstaltungen, die öffentlich sind. Heute um 20 Uhr gibt es eine einführende Podiumsdiskussion u.a. mit Ralph Giordano. Ebenfalls heute, allerdings schon um 9.30 Uhr, redet Jehuda Bauer von der Hebrew University über „The Impact of the Holocaust on Culture, Society and Politics“.

Am Mittwoch (9.30 Uhr) gibt es eine Veranstaltung, die besonders für Schüler interessant sein könnte. Marc Grünbaum, ein 24jähriger Jude aus Frankfurt, Arzu Toker, eine in Köln lebende Türkin und Michael Hahn, ebenfalls ein junger, in Berlin lebender Jude diskutieren über ihre Möglichkeiten, die Zukunft in Deutschland mitzugestalten. Am Nachmittag (15 Uhr) generalisieren Konrad Weiß (MdB Bündnis 90) und Michael Friedmann (Zentralrat der Juden in Deutschland und Mitglied der CDU in Frankfurt) dieses Thema. „Wie stabil ist die Demokratie in Deutschland nach dem Fall der Mauer?“ fragen sie.

Umrahmt wird die Mammutkonferenz von diversen Kulturveranstaltungen. Inge Deutschkron wird am Mittwoch (11.30 Uhr) aus ihrem neuen Buch „Unbequem. Mein Leben nach dem Überleben“ lesen.

Am Nachmittag (16.30 Uhr) inszeniert der Engländer Wilfried Harrison ein Gespräch zwischen Menschen, die Verfolgte des Nazi- Regimes gerettet haben, mit denen, die diese Hilfe verweigerten. Am Abend findet zum Gedenken des in Auschwitz ermordeten (im Programm heißt es „umgekommenen“!) Komponisten Victor Ullmann eine kammermusikalische Aufführung seines letzten Stückes statt. Das ausführliche Tagungsprogramm ist in der Humboldt- Universität zu bekommen. Die Abschlußveranstaltung findet am Donnerstag um 11 Uhr mit Hans- Dietrich Genscher, Ignatz Bubis und dem Vizekanzler der Universität von Washington (Seattle), Hubert Locke, statt. Die nächste Konferenz wird im Jahr 2000 in den USA stattfinden. aku

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