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Schriften zu ZeitschriftenErhabenes Drehmoment

■ Nicht ohne meinen Adorno: Popgeschichte mit „Testcard“

Mit der Forderung, gute Popkritik müsse selbst wie eine gute Popsingle funktionieren, scheint nichts mehr zu reißen zu sein „in 1997“ (wie man neuerdings so sagt). Das Vorjahr, wir erinnern uns, hat sowohl den Versuch gesehen, das kr(e)iselnde System Pop mit Kriterien der Political Correctness subversionsfähig zu erhalten, als auch den Umkehrschluß: diese Spielhalle sei kaputt und nur noch mit Begriffen der „Kontrollgesellschaft“ zu beschreiben. Die dritte Ausgabe der Zeitschrift Testcard – Untertitel „Beiträge zur Popgeschichte“ – schlägt einen dritten Weg ein, indem das allfällige Bedürfnis nach Historisierung und Kriteriensicherung sich ins Herz der Klänge selbst zurückbegibt. Es geht um den Zauberbegriff der Popgeschichte seit spätestens Velvet Underground: Sound.

Trotz seiner Zentralität ein eher vager Term, wie Martin Büsser in seiner einleitenden Skizze zur Geschichte der „Sound Culture“ erkennt. Zwar läßt er sich auf kanonische Gründungstexte der Avantgarde – etwa Saties „Musiqe d'Ameublement“ und Russolos Geräuschkunst – zurückbeziehen, doch seit die minoritären E-Musik- Entwicklungen in den Sechzigern von musikalischen Laien aufgegriffen und damit Pop wurden, ist jeder sein eigener Avantgardist und „Sound“ ein unübersehbares Feld von Bastelpraktiken geworden, überwuchert zudem von sekundären Codes wie Stil, Botschaft, Lifestyletauglichkeit.

Um dennoch etwas von seinem Gegenstand zu fassen zu kriegen, schlägt Büsser vor, „ein Politisches dort zu bestimmen, wo Popkritik bislang selten gesucht hat“. Nicht im Text nämlich, auch nicht im Härte- und Verweigerungsgrad oder im subkulturellen Umfeld, sondern „in den Stimmungen, die erzeugt werden, in der Art, wie Kraft- und Erschaffungsfelder erzeugt werden und welche Wirkung beides haben kann“.

Der Rekurs aufs Primäre, den Materialbegriff, ist der größte gemeinsame Nenner der rund 20 Beiträge in Testcard. Ihn umkreisen sie auf teils weit auseinanderliegenden Orbitalbahnen – als Interview, Labelporträt, technikgeschichtlicher Beitrag, Bekenntnis oder Essay. Rigobert Dittmann etwa spricht mit den geborgten Stimmen von zehn Medientheoretikern, um schließlich zu einem Credo für das „erhabene Drehmoment“ der Erschütterung durch Sound aufzulaufen. Roger Behrens' „Versuch einer Entzerrung des ausgesparten Problems der Materialdialektik in der Popmusik“ stellt sich unter Rekurs auf Bloch, Eisler u.a. der Zentralfrage, wie sich Klangverhältnisse überhaupt auf soziale Verhältnisse beziehen lassen, inwiefern also Sound „politisch“ sein kann. Kann er nämlich gar nicht so ohne weiteres. Behrens geißelt die verbreitete „Verabsolutierung des Hedonismus zu Politik“, um schließlich sogar Adornos Hoffnung, freie Atonalität sei in ihrer Gleichberechtigung der zwölf Töne so etwas wie der Vorschein von Freiheit, in den Wind zu schlagen.

Es ist ein Gestus des Verzichts, der vorherrscht. Die intellektuelle Figur, die als Rollenmodell hervorlugt, ist nicht mehr der urbane Szenekenner und stilistische Bescheidwisser, sondern der Exeget in der Kammer, der dafür besser hinhört. Ganz klar geht es um Freude und Ernst an der eigenen kleinen Definitionsmacht. Insofern ist Testcard – der Verlagssitz ist Mainz – natürlich auch ein Angriff auf Metropolen wie Köln, Home of Popdiskurs. Ungeachtet der Tatsache, daß man auch dort schwer ins Grübeln gekommen ist, versucht man sich bei Testcard an der Lancierung eines Popverständnisses, das ohne Verkultung und andere Sekundärvergütungen auskommt. Das schmälert zwar den Zugriff auf die Massen, Büsser zufolge erhält Pop und Popdiskurs damit aber die Chance zurück, „'erwachsen'“ (mit doppeltem Apostroph) zu werden.

So erfrischend und vielleicht auch historisch notwendig es allerdings sein mag, dem weltlichen Ornat von Mode und Stil zeitweise zu entsagen, um den eigenen Approach mal wieder in zäher Exegese adornitischer Ästhetik und Begrifflichkeit zu überprüfen – nicht ohne meinen Deleuze im übrigen! –, letztlich sind doch diejenigen Beiträge in Testcard die produktivsten, die ihr Sezierbesteck ganz locker im Stahlbad des Fun gehärtet haben. Der „Greifswalder Arbeitskreis für Populärkulturforschung“ zum Beispiel weist in einem ebenso witzigen wie kenntnisreichen epistemologischen Vergleich am Beispiel der verkannten Avantgardeband Zoviet France nach, wie sehr auch in der Musikbeschreibung die jeweilige Methode den Gegenstand erst konstituiert und wie begrenzt der Zugriff auf die Kategorie „Sound“ dabei letztlich bleibt. Zoviet France für Klangphänomenologen, Ideologiekritiker, Hip-Diskursler oder Soziologen – immer ist das Verkaufsargument ein anderes. „Diskurs- Lämpel“ helfen dem Leser dabei, sich auf den unterschiedlichen Niveaus der Argumentation zurechtzufinden, die von der Psychonautik über die Rhizomlehre bis hin zur Harald-Schmidt-Show reicht. Über diese Distanz muß Pop heute ja zwangsläufig denken.

Das Ohr, heißt es, sei das dunkelste Sinnesorgan und das intellektuellste zugleich, da es sowohl die Musik als auch die Sprache aufnimmt: Diese interpretiert jene, und jene erinnert diese an die Unterwelt, den dunklen Fluß von Asignifikanz und Kindheit, dem sie entstiegen ist. Ganz tot kann die Pop-Single also auch nach der Lektüre von Testcard nicht sein, im richtigen Drehmoment, in der glücklichen Wendung liegt immer noch eine Spur Sirenengesang. Also sprach Rigobert Dittmann: Es gehe darum, „speziell über den Soundkern von Musik einen Zugang offenzuhalten zu seinem mit allen Menschen geteilten, aber jeweils individuell überformten psychophysischen Freiheitspotential, das ihm in selten gelingenden Momenten zuflüstert, daß die moderne Mediengesellschaft in ihrer Zwangsordnung aus Verzeitlichung, Versprachlichung, Vermarktung und Vernetzung einen Abgrund von Dissonanz ausblendet und dabei ihren existentiellen Mangels nihiliert“.

So kann man es natürlich auch ausdrücken. Thomas Groß

„Testcard. Beiträge zur Popgeschichte“. Nr. 3: „Sound“. Herausgegeben von Martin Büsser, Jochen Kleinhenz und Johannes Ullmaier. Zu beziehen über Verlag Jens Neumann. Neurotalstraße 38, 55124 Mainz. Tel./Fax: (06131) 467 115

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