Ergebnis der AG Klimaschutz im Verkehr: Wut zur Lücke
Die konfliktreiche Verkehrskommission zum Klimaschutz endet im Streit und erreicht ihr Ziel nur zur Hälfte.
Am Dienstagmorgen knapp vor vier Uhr gab es kurz Applaus, berichten Mitglieder der „Arbeitsgruppe Klimaschutz im Verkehr“: Da hatte der Vorsitzende Franz Loogen von der Mobilitätsagentur Baden-Württemberg festgestellt, es gebe einen Minimalkonsens.
Sonst aber war den meisten der 20 ExpertInnen nicht nach Feiern zumute: Nach 17 Stunden Verhandlung in der letzten Runde, nach vielen Sitzungen und Gutachten seit Herbst 2018 konnten sie sich in der zentralen Frage für den Klimaschutz im Verkehr nur auf einen „Zwischenbericht“ einigen, der die umstrittenen Fragen ausklammert.
„Die Kommission ist gescheitert“, sagen einige Teilnehmer, andere finden, man sei „als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet“. Denn immer noch weiß niemand, wie und wo der Verkehr bis 2030 zwischen 16 und 26 Millionen Tonnen CO2 einsparen soll. Der Zwischenbericht wird mit dieser riesigen Lücke und ohne das Kapitel 4 mit umstrittenen Maßnahmen am Freitag an den „Lenkungsausschuss“ der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“ übergeben.
Die sollte eigentlich für das Bundesverkehrsministerium klären, wie der Verkehr sein Klimaziel bis 2030 erreicht, etwa 55 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Aber einigen konnten sich die VertreterInnen von Umweltverbänden, Industrie, Gewerkschaften und Verkehrsverbänden nur auf Maßnahmen, die maximal 29 bis 39 Millionen Tonnen bringen.
So steht es im Bericht, der bislang nicht öffentlich ist und der taz vorliegt. Darin heißt es: Das Klimaziel sei „im Grundsatz erreichbar“ durch den Wechsel zu E-Motoren, effizienteren Fahrzeugen, Biokraftstoffen, mehr Verkehr auf Schiene, Schiff, Rad und zu Fuß und die Digitalisierung. Nicht erwähnt werden etwa Verhaltensänderungen von Menschen oder weniger Verkehr.
„Weiterer Diskussionsbedarf“
Die Reduktion sei erreichbar durch einen Mix von Maßnahmen, dazu gehören etwa 7 bis 10 Millionen E-Autos auf den Straßen, Lkws und Busse mit Batterie- oder Gasantrieb, deutlich mehr Biotreibstoffe, ein Plus von jeweils etwa 50 Prozent bei den Passagieren der Bahn und im öffentlichen Nahverkehr, eine Zunahme von 70 Prozent der Güter auf der Schiene.
Die Kosten für solche Maßnahmen müsste der Staat tragen: etwa 120 Milliarden Euro, rechneten Gutachter der Kommission vor. Trotzdem „werden diese Instrumente nicht ausreichen, um das Klimaziel zu erreichen“, heißt es in dem Papier. „Es bleibt noch eine signifikante Lücke in Höhe von 16 bis 26 Millionen Tonnen CO2.“
Und darum gibt es Streit, den die Arbeitsgruppe nicht beilegen konnte. Es herrsche „weiterer Diskussionsbedarf“ bei „Preissignalen“, einer „Quote für Elektrofahrzeuge“, bei Strafzahlungen für große Autos und dem Einsatz von Biomasse. Während die Umweltverbände den großflächigen Einsatz von Biomasse ablehnen, weil sich die Mengen nicht nachhaltig erzeugen ließen, warnt die Industrie, die „Preissignale“ der Ökos würden den Liter Treibstoff um etwa 80 Cent verteuern. Einig war man sich immerhin darin, die Bundesregierung solle einen CO2-Preis für den Verkehr und alle anderen Sektoren außerhalb des EU-Emissionshandels „prüfen“.
Das Verkehrsministerium zeigte sich „zuversichtlich, dass ein Maßnahmenbündel die Lücke schließen könne“. Immerhin gebe es etwa aus der Digitalisierung noch Spielraum (6 Millionen Tonne), durch besser fließenden Verkehr oder mehr Heimarbeit. Die Partei Die Linke wiederum sieht im Ergebnis einen „Rohrkrepierer mit Ansage“. Und Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter meinte, Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) habe „mit seinen Denkverboten und Sabotageakten“ den „Klimaschutz im Verkehr ausgebremst“.
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