: Erfolgspropaganda
Bislang geheimgehaltene „Bombenschadenabschätzungen“ des Pentagon ergeben ein völlig neues Bild/ Irakisches Militär noch weitgehend intakt ■ Von Andreas Zumach
Die irakischen Militäreinrichtungen sind in den ersten zehn Tagen des Krieges weit weniger zerstört worden, als bisher vom Pentagon öffentlich dargestellt. Außerdem wurden sie zum Teil durch schnelle Reparaturarbeiten wieder funktionstüchtig gemacht. Das ergeben detaillierte „Bombenschadenabschätzungen“, die das Pentagon hohen RegierungsvertreterInnen am Wochenende vorlegte. Die Konsequenz, die in Washington aus dieser Tatsache gezogen wird: Fortsetzung der massiven Luft- und Raketenangriffe möglicherweise bis Ende Februar, bevor dann Bodentruppen eingesetzt werden sollen.
Vom dritten Kriegstag an hatten der Oberkommandierende der US- Streitkräfte am Golf, General Schwarzkopf, sowie die Sprecher des Pentagon in Washington erklärt, die täglich 2.000 Lufteinsätzte gegen irakische Militäreinrichtungen und Stellungen im Irak und Kuwait seien „zu 80 Prozent erfolgreich“. Genauere Informationen wurden den Journalisten vorenthalten. Am letzten Mittwoch wurde dann eingeräumt, diese „Erfolgszahl“ sage lediglich aus, daß bei 80 Prozent der Einsätze die Piloten ihre Bomben oder Crusie Missiles auf das vorbestimmte Ziel abgeworfen bzw. abgeschossen haben. Über Treffer, Zerstörungsgrad und die Frage, inwieweit andere, zivile Einrichtungen in Mitleidenschaft gezogen wurden, könnten nur detaillierte „Bombenschadenabschätzungen“ Auskunft geben, hieß es. Diese Abschätzungen erfolgen nach Angaben des Pentagon vor allem auf der Basis von Luftaufnahmen, die nach den Angriffen durch Aufklärungsflugzeuge geschossen werden. Bislang wurde die Geheimhaltung der Detailinformationen damit begründet, man wolle der irakischen Führung keine für sie nützlichen Aufschlüsse geben. In einer „Zwischenbilanz“ der ersten Kriegswoche gaben sie unter Berufung auf die ihnen bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden „Bombenschadenabschätzungen“ jedoch bekannt, neben den beiden Atomkraftwerken Iraks seien auch dessen Produktions- und Abfüllanlagen für chemische und biologische Waffen „völlig vernichtet“ worden. Cheney und Powell berichteten außerdem von der „Lahmlegung“ des irakischen Lufabwehrradars, von der „weitgehenden Ausschaltung“ der aus Boden-Luft-Raketen und Artilleriestellungen bestehenden Luftabwehr sowie von der „Zerstörung der meisten Flugplätze“. Außerdem wurde der Eindruck erweckt, zumindest fast alle festinstallierten Scud- B-Raketenstellungen seien zerstört worden.
Die der Regierung am Wochenende vorgelegten „Bombenschadenabschätzungen“ für die ersten zehn Kriegstage (bis einschließlich letzten Freitag) ergeben ein anderes Bild: Die C-und B-Waffen-Anlagen sind nur zu 50 Prozent zerstört. 65 Prozent der Flugplätze sind noch bzw. — nach von Spezialtrupps durchgeführten Reparaturarbeiten — wieder benutzbar. 20 Prozent des Luftabwehrradars funktioniert wieder. Die Boden-Luft-Raketenstellungen sind zwar sämtlich zerstört, doch die 8.000 bis 9.000 zur Luftabwehr eingesetzten Artilleriegeschütze blieben fast völlig unbeschädigt. Von den 30 festen Scud-B-Raketenstellungen wurden acht zerstört. Über die Zerstörung von mobilen Abschußbasen hat das Pentagon bisher überhaupt keine gesicherten Erkenntnisse. Von den rund 800 Panzern der irakischen Elitetruppen wurden etwa 30 zerstört. Abgeschossen oder am Boden zerstört wurden 50 irakische Kampfflugzeug. 69 befinden sich nach letzten Meldungen im Iran, 700 in unterirdischen Bunkern im Irak. Die Bunker wurden von westeuropäischen Experten nach Nato-Standards erbaut und können nach Einschätzung des Pentagon wenn überhaupt nur durch extrem zielgenaue, lasergesteuerte 1.000-Kilo-Bomben zerstört werden. Ähnliches gilt für die unterirdische Kommandozentrale Saddam Husseins in Bagdad sowie das Kommunikationssystem, das ein hoher Pentagonvertreter am Wochenende als „eines der besten und robustesten in der ganzen Welt“ bezeichnete. Weitgehend unbetroffen von den Bombardements der ersten zehn Tage blieben auch die irakischen Nachschublinien, auf denen die Truppen mit Nahrungsmitteln und Munition versorgt werden.
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