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Erdrutschsieg für Haitis „Père Titid“

■ Der Befreiungstheologe Jean-Bertrand Aristide gewinnt die Präsidentschaftswahl mit 70 Prozent der Stimmen

Port-au-Prince (wps/dpa) — Der Priester Jean-Bertrand Aristide ist mit 70 Prozent der Stimmen zum Präsidenten Haitis gewählt worden. Nur 12 Prozent erhielt der von den USA favorisierte Ex-Weltbank-Mitarbeiter Marc Bazin. Nach 186 Jahren Diktatur hat der Karibikstaat somit erstmals eine Chance, demokratisch regiert zu werden.

In den Slums der Städte reißen seit Montag morgen die Freudenfeste nicht ab. Durch die Vorstädte von Port-au-Prince bis hin zum strahlendweißen Präsidentenpalast ziehen Prozessionen zur Feier des Sieges von „Père Titid“, dem Priester der „Ti Legliz“ („Kleine Kirche“) genannten Befreiungstheologie Haitis. Der Wahlsieger selbst, der mit revolutionären Predigten die Hoffnungen von Haitis Armen mobilisierte, hält sich jedoch versteckt. Schon haben die „Duvalieristen“, Anhänger der ehemaligen Diktatur, angekündigt, die Machtübernahme des „Kommunisten“ Aristide verhindern zu wollen.

Jean-Bertrand Aristide wurde 1988 von der katholischen Kirche verstoßen, weil er von der Kanzel aus den „Klassenkampf propagiere“. Als glühender Verfechter der Befreiungstheologie predigte er seiner Gemeinde, für ihre Würde zu kämpfen und sich gegen das Duvalier-Regime und seine gewalttätigen Milizen, die „Tontons Macoutes“ aufzulehnen.

Von 1957 bis 1986 hatten Fran¿ois und Jean-Claude Duvalier — „Papa Doc“ und „Baby Doc“ — die sechs Millionen Bewohner Haitis als Diktatoren beherrscht. Danach hatte es zwei vergebliche Anläufe zu demokratischen Wahlen gegeben. Gegenwärtig regiert als Übergangspräsidentin die ehemalige Verfassungsrichterin Ertha Pascal-Trouillot.

Die Wahl Aristides wurde von den USA offiziell begrüßt. Sein Sieg sei ein weiterer Triumph der Demokratie, „so wie in Managua, Berlin, Warschau und anderswo“, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums. Aber es hieß ebenfalls, Aristide sei ein „radikaler Linker“, dem Washington mißtraue. SEITE 9

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