Erdgasförderung in Rotenburg/Wümme: Gift aus dem Boden
Im Kreis Rotenburg werden krebserregende Stoffe gefunden. Das befeuert Ängste, die Erdgasförderung sorge für ein erhöhtes Krebsaufkommen.
Warum solche Nachrichten alarmieren? Weil in der Stadt Rotenburg sowie der benachbarten Samtgemeinde Bothel in der Vergangenheit eine weit überdurchschnittliche Krebsrate bei Männern fortgeschrittenen Alters ermittelt worden ist. So führt das Epidemische Krebsregister für Bothel eine beinahe verdoppelte Krebsrate im Vergleich zum Durchschnitt auf, auch in Rotenburg liegt sie fast um ein Drittel über dem Bundesschnitt.
Das Landesamt, das dem Wirtschaftsministerium in Hannover untersteht, schließt in seiner jüngsten Pressemeldung nicht aus, dass „die festgestellten auffälligen Werte tatsächlich Auswirkungen auf Menschen oder die Umwelt haben“.
Ob dem so ist, sollen die beiden in der Region aktiven Erdgasförderer, DEA und Exxon Mobil, nun auf eigene Kosten untersuchen lassen. Eine entsprechende Anordnung hat das Landesamt bereits getroffen. Erst wenn die Ergebnisse dieser Untersuchungen vorliegen, will das Landesamt „eine abschließende Gefährdungsbeurteilung geben“.
Quecksilber ist ein hochgiftiges chemisches Element. Es ist das einzige Metall, das bei Zimmertemperatur flüssig ist, und wurde vor allem als Bestandteil alter Thermometer bekannt.
Aromatische Kohlenwasserstoffe sind krebserregend und kommen in Rohöl und Erdgas vor. Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylol gehören zu dieser Stoffgruppe – alle vier wurden jetzt in der Region Rotenburg gemessen.
Benzol ist die vielleicht wichtigste Verbindung der nun ermittelten Gifte. Benzol wird über die Atemwege aufgenommen. Seine Hauptemissionsquelle ist der Kraftfahrzeugverkehr.
Genau das wiederum will die Bürgerinitiative „Frack-Loses Gasbohren“ nicht: Sie befürchtet, dass von den Gasförderern in Auftrag gegebene Analysen „geschönt“ sein werden. „Wir brauchen eine neutrale Untersuchung“, sagt Initiativensprecher Hartmut Horn: „Von der Industrie bezahlten Gutachten können wir nicht trauen.“ Zudem habe das Landesamt veraltete Messmethoden angewandt und Grenzwerte zugrunde gelegt, „die noch aus den 60er-Jahren stammen“, so Horn. Die aber seien „viel zu hoch und längst nicht mehr Stand der Wissenschaft“.
Auch der Rotenburger Wasserversorgungsverband sieht in der Erdgasförderung eine Bedrohung für das Trinkwasser von 400.000 Menschen. 13 Bürgermeister aus der Region um Rotenburg schrieben bereits einen Brief an die Landesregierung, in dem sie eingehende Untersuchungen und die Einschränkung der Erdgasgewinnung forderten – ohne Ergebnis.
95 Prozent des deutschen Erdgases werden derzeit in Niedersachsen aus dem Boden geholt. Exxon Mobil etwa fördert schon seit über 30 Jahren im Landkreis Rotenburg sowie im Heidekreis. An vielen Orten, wo sich die entsprechenden Anlagen konzentrieren, ist die Krebsrate messbar angestiegen. In der Rotenburger Umgebung ist vor allem die Blutkrebsrate auffällig hoch. Einen schlagkräftigen Beweis für einen Zusammenhang mit der Erdgasförderung gibt es bislang nicht – und daher auch keinen Grund, die industrielle Förderung einzuschränken oder mit besseren Umweltstandards zu versehen.
Brandbrief von Wissenschaftlern
Auch wenn also nicht bewiesen ist, dass die nun nachgewiesenen Giftstoffe aus den Bohrstellen in die Umwelt gelangen und Menschen krank machen: Ärzte in der Region schlagen gleichwohl Alarm. Anfang des Jahres etwa unterzeichneten 212 Mediziner aus dem Landkreis Rotenburg einen Brandbrief an Niedersachsens Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD).
Sie forderten die rot-grüne Landesregierung auf, endlich genügend Geld zur Verfügung zu stellen, um die Ursachen der erhöhten Krebsrate in der Region untersuchen zu lassen – unabhängig, so wie es auch die Bürgerinitiative verlangt. „Die Landesregierung muss endlich genügend Mittel zur Verfügung stellen, um den Zusammenhang zwischen Erdgasförderung und Krebsrate in der Region aufzuklären“, fordert denn auch Ini-Sprecher Hartmut Horn.
Die Ministerin verwies die Mediziner zurück an den Landkreis: Das dortige Gesundheitsamt sei zuständig. Über das Geld, das die verlangte Forschung kosten würde, verfügt der Landkreis freilich nicht.
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