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Archiv-Artikel

Er scratchte mit dem Mund

Maxim war Urgestein der HipHop-Szene. Damit sein Sohn im Grünen aufwächst, zog der gebürtige Türke nach Köpenick. Dort wurde er an seinem 33. Geburtstag von einem Rentner erstochen. Gestern wurde seine Leiche nach Instanbul überführt

von PLUTONIA PLARRE

Vor dem islamischen Friedhof am Columbiadamm steht eine große Menschentraube. Junge Leute aus der HipHop-Szene, Frauen mit Kopftüchern, bärtige Muslime. Juden, Christen, Heiden – ein bunt gemischtes Volk ist gekommen, um sich von dem drinnen aufgebahrten Maxim zu verabschieden, bevor dieser als Cargo in einem Flieger nach Istanbul seine letzte Reise antritt. Viele drücken einen vorsichtigen Kuss auf das bleiche Anlitz, andere berühren scheu das Leichentuch. In den Gesichtern seiner Freunde spiegelt sich Trauer gepaart mit Fassungslosigkeit. „Diese Art von Tod hätte man bei jedem Stressmacher aus der HipHop-Szene erwartet, aber nicht bei ihm“, sagt sein langjähriger Freund Halil.

Es geschah am 13. Juni. Der gebürtige Türke Atila A.– in der HipHop-Szene als Maxim bekannt – feierte seinen 33. Geburtstag. Wegen ihres zweijährigen Sohnes waren Maxim und seine deutsche Freundin vor geraumer Zeit von Schöneberg nach Köpenick umgezogen. Das Kind sollte im Grünen aufwachsen. Am besagten Tag, heißt es, sei Maxims Freundin im Supermarkt von einem Rentner angepöbelt worden. Als die Freundin Maxim in der Wohnung davon berichtete, ging der große, stämmige Mann auf die Straße um die Sache zu klären. Nicht handgreiflich, sondern verbal, ist sich Freund Halil sicher. Maxim habe Gewalt verachtet. „Er versuchte immer zu schlichten.“ Fakt ist: Der Rentner, ein 75-jähriger Laubenpieper und Taubenzüchter, rammte Maxim ein Taschenmesser in die Brust. Die Verletzung war tödlich.

Der Termin der gestrigen Trauerfeier war nur im Familien- und nahen Freundeskreis bekannt gegeben worden. Hätte er in der Zeitung gestanden, ist sich Halil sicher, wären weit über 1.000 Leute gekommen. Maxim war in der Berliner HipHop-Szene bekannt wie kaum ein anderer, er gehörte sozusagen zum Urgestein. „Wenn man nachforscht“, schreibt das HipHoper-Magazin Backspin, „welche Leute die Geschichte dieser Kultur in der Mauerstadt geprägt haben, kommt man um einen Namen nicht herum: Maxim.“

Es war Anfang der 80er-Jahre. Maxim und seine Freunde Halil und Bas II waren 13 Jahre alt, als sie den legendären Film „Beat Street & Breakdance Sensation“ sahen. Es war der Auftakt einer neuen Jugendbewegung, die sich aus den Elementen Breakdance, Graffiti, Writing, Rappen und DJing speiste. „Für uns hatte das auch einen Aspekt, uns gegen körperliche Gewalt auszusprechen. Es ging darum, sich in einem Tanz miteinander zu messen“, sagen seine Freunde.

Maxim avancierte im Laufe der Jahre zum Meister. Viele andere hören auf, wenn sie 20 werden, nicht so er. Nach Angaben seiner Freunde galt er als Master of Ceremonie, sprich bester Beat-Boxer: während andere die Platten mit dem Finger scratchen, scratchte er mit dem Mund. Er kümmerte sich aber auch um den Nachwuchs, gab Workshops und machte Veranstaltungen.

Inzwischen ist die Berliner Szene auf über 50.000 HipHopper angewachsen. Zum harten Kern werden 2.000 Anhänger gezählt. HipHop ist keine Statusfrage. Aber es hat mit Jugendidentität zu tun. Mit dem Breakdance sagen Maxims Freunde, kommt man weg von der Straße, fühlt sich einer bestimmten Szene dazugehörig und hat die Hoffnung, berühmt zu werden.

Maxim war „all-City“, sagt Halil, soll heißen: Maxim war überall in Berlin zu Hause. Nach der Wende nahm er sofort mit einer Ostberliner Breakdance-Gruppe Kontakt auf. Auch in Köpenick galt Maxim beim dortigen Jugendclub „All Eins“ als eine Art Integrationsfigur. Und trotzdem, sagen seine Freunde, sei Maxim im Köpenicker Alltag immer ein Fremder geblieben. Er habe eben wie ein Ausländer ausgesehen. „Er hat immer zu spüren bekommen, dass er nicht dazugehört.“

Er selbst, sagt Halil, der in Schöneberg den HipHop-Laden „Down Stairs“ betreibt, wäre nie auf die Idee gekommen, in den Ostteil der Stadt zu ziehen. „Und wenn es schon unbedingt sein muss, dann nicht tiefer als tief.“ Also nicht weiter als bis Friedrichshain. Die bittere Wahrheit: Das Gefühl, dass Migranten in den östlichen Randbezirken immer noch nicht sicher sind, hat sich für Halil und die anderen auf tragische Weise bestätigt.

Der 75-jährige Rentner sitzt seit der Tat in Untersuchungshaft. Laut Zeitungsberichten hatte er in dem Supermarkt Grillgut für ein Laubenpieperfest eingekauft. Nach der Tat war er mit seinem Ruderkahn zur Baumgarteninsel geflüchtet, auf der er wohnt. Als er im Polizeiauto saß, lachte er breit in die Kamera. Maxim, sagt Halil, suchte immer Körperkontakt, er fasste einen immer am Arm an. Vielleicht habe sich „der Opa“ bedroht gefühlt nach dem Motto: „Jetzt kommen immer mehr Türken nach Köpenick.“

Der tödliche Messerstich beendete nicht nur ein erfolgreiches HipHopper-Leben auf der Straße und auf Bühnenbrettern. Maxim hatte sich gerade zu neuen Ufern aufgemacht. Er war dabei, sein erstes eigenes Musikalbum fertigzustellen. Am Mittwoch nach seinem Tod hatte er einen wichtigen Studiotermin. Seine Freunde wollen es nun für ihn fertigstellen. „Floor-Wars“ von „Mighty Maxim“soll im Herbst herausgebracht werden. Die Erlöse sollen dem Sohn zukommen. Und noch etwas ist geplant: eine Memorial-Wand mit einem großen Bild von Maxim an der Fassade des Pallaceum (früher Sozialpalast) in Schöneberg. Mit der Eigentümergesellschaft wird zur Zeit verhandelt.