■ Kommentar: Er ist wieder da
Respekt, Herr Dr. Voscherau. Neidlos müssen wir es anerkennen: Wir sind Ihnen beinahe auf den Leim gegangen. Der gewiefte Taktiker und kühle Stratege – wie lange haben wir den vermißt. Und nun ist er plötzlich wieder da.
Was haben Sie in den vergangenen Monaten nicht alles getan, um uns einzulullen, vorspiegelnd, daß dem routinierten Regisseur die Nerven durchgegangen seien. Bis hin zu dem rassistischen Vergleich vom „vollen Boot Wilhelmsburg“ sind Sie gegangen, bis an die Grenze zur Selbstverleugnung. Und das alles nur für den einen, den großen Coup: Den Frieden am Hafenrand. Oder das, was Sie darunter verstehen.
Räumung und Abriß der Häuser sollen gar nicht das Ziel Ihrer langjährigen Politik gewesen sein, wie wir immer dachten, sondern lediglich Mittel zum Zweck. Na gut, dann haben wir das wohl jahrelang mißverstanden. Schwamm drüber.
Und zugleich Vorhang auf für Voscherau, den Botschafter des Friedens. Über Schatten springen Sie, den eigenen sogar, eröffnen Chancen, strecken Hände aus und verteilen Schwarze Peter: Sie wollen ja nur ein paar Wohnungen bauen, und dagegen kann doch kein vernünftiger Mensch was haben, nicht einmal die BewohnerInnen des Stadtteils. Höchstens diese Leute da in den bunten Häusern, aber, so sagen Sie, jeder sei bekanntlich seines Glückes Schmied.
Brillant, Herr Dr. Voscherau, wirklich brillant eingefädelt. Da erkennen wir Sie doch endlich wieder, als glasklaren Machtpolitiker, der Stimmungen sondiert und instrumentalisiert. Die Frage ist nur, wer seine Glaubwürdigkeit erst noch beweisen muß: Die Leute in den bunten Häusern da oder Sie?
Sven-Michael Veit
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