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„Epizentrum des Terrorismus“

Indiens Regierung zeigt Pakistans General Muscharraf nach seiner Rede die kalte Schulter und schießt verbal zurück. Pakistan testet erneut eine Kurzstreckenrakete, dennoch gibt es erste Anzeichen einer Dämpfung der jüngsten Spannungen

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Die Rede des pakistanischen Militärmachthabers Pervez Muscharraf Rede vom Montagabend ist in Delhi kühl aufgenommen worden. Indiens Außenminister Jaswant Singh nannte sie gestern auf einer Pressekonferenz „enttäuschend und gefährlich“. Denn die Rede habe nicht nur frühere – unerfüllte – Versprechen wiederholt, statt neue Maßnahmen gegen den Terrorismus zu artikulieren. Muscharraf liefere darüber hinaus „in krassem Gegensatz zu seinem behaupteten Wunsch nach Frieden eine beleidigende und geschmacklose Verunglimpfung Indiens“.

Singh sagte, Pakistan sei heute „das Epizentrum des internationalen Terrorismus“, nachdem die Terror-Fabrik der Taliban zum westlichen Nachbarn umgesiedelt sei. Dies sei umso gefährlicher, als Muscharraf im Kavalierston von drohenden Atomschlägen spreche und damit „einer Nuklearisierung des Terrorismus“ das Wort rede. Singh weigerte sich, Erfolg oder Misserfolg des internationalen Drucks auf Muscharraf zu beurteilen. Doch ließ er erkennen, dass dieser Druck in den Augen Delhis bisher kaum Wirkung gezeigt habe. Muscharrafs Rede war für Singh dafür Beweis genug, ebenso wie Pakistans gestriger dritter Raketentest der letzten Tage und andere Aktivitäten. Zu denen wird er vermutlich auch den erstmaligen pakistanischen Einsatz von schwerer Artillerie im Kargil-Sektor in Kaschmir zählen. Die internationale Gemeinschaft habe Indien nach jedem Terrorangriff zur Zurückhaltung aufgefordert, so Singh, „doch Indien kann nicht für seine Geduld bestraft werden“.

Trotz des deutlichen Misstrauen Delhis gegenüber Muscharraf gaben die Äußerungen Singhs Anlass zur Hoffnung, dass ein offener Krieg zumindest nicht unmittelbar bevorsteht. Denn Singh versicherte, Indien werde sich erkenntlich zeigen, falls Muscharraf seinen Worten Taten folgen lasse. Und er widersprach einem Fragesteller nicht, der einen Zeitraum von drei bis vier Wochen nannte, die Pakistans Präsident benötigen würde, um seine Versprechen umzusetzen. Zudem schien Singh auch weiter darauf zu bauen, dass diplomatische Schritte Wirkung zeigen könnten.

Delhi sieht mit Befriedigung, dass der Westen in den letzten Tagen seine Sprache gegenüber Pakistan verschärft hat. Nachdem US-Präsident Geroge Bush Muscharraf aufgefordert hatte, er müsse bei der Kontrolle der Infiltration über die Waffenstillstandslinie „Resultate zeigen“, hat auch Großbritannien seine bisherige „Äquidistanz“ gegenüber den beiden Parteien aufgegeben. Zum Auftakt des gestrigen Besuchs von Außenminister Jack Straw in Islamabad sagte der Außenamtssprecher in London, sobald Muscharraf die Infiltration in den Griff bekomme, werde man Delhi zu einer militärische Entspannung drängen. Vor Wochenfrist hatte Premierminister Tony Blair noch eine Wiederaufnahme des Dialogs durch Indien gefordert, „gleichzeitig“ mit der Einstellung der Terrorunterstützung durch Pakistan.

Indiens Premier Atal Behari Vajpayee benutzt weiter kriegerische Kraftausdrücke, um der kriegslüsternen Stimmung in seiner eigenen Partei Rechnung zu tragen, lässt diesen aber besänftigende Worte folgen. Auch Verteidigungsminister George Fernandes trat der Auffassung entgegen, dass ein Krieg unmittelbar bevorstehe. Er sagte, er sehe keinen Anlass dazu, auch wenn er wisse, dass Pakistans Geheimdienst weitere Aktionen plane. Auch durch Pakistans Raketentests will Delhi sich nicht in eine weitere Eskalation zwingen lassen. Nach Vajpayee, der die ersten beiden Tests als „wenig beeindruckend“ qualifiziert hatte, tat auch Singh sie als „Raketenmätzchen“ ab.

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