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Entsetzen über Mord an Colosio

Politiker und Öffentlichkeit Mexikos verurteilen das Attentat auf den Präsidentschaftskandidaten der Regierungspartei PRI / Motiv der Täter bislang noch unklar  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Mexiko im parteiübergreifenden Schock: Fassungslos äußerten sich PolitikerInnen aller neun Parteien, die im kommenden August um das höchste Amt im Staate konkurrieren, zu dem „feigen und hinterhältigen“ Mord an Luis Donaldo Colosio. Ebenso wie die Regierungspartei PRI, die Colosio aufgestellt hatte, verurteilen auch die Kandidaten der beiden wichtigsten Oppositionsparteien – die linke PRD und die rechtsliberale PAN – Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung und kündigten die vorläufige Aussetzung ihrer jeweiligen Wahlkampagnen an.

In einem Blitztelegramm aus dem Weißen Haus sprach auch Bill Clinton der Colosio-Witwe Diana Laura de Rioja und ihren beiden Kindern sein Beileid aus und drückte „seine tiefe Betroffenheit“ über den brutalen Anschlag aus.

Nicht minder entsetzt reagierten am Mittwoch abend die mexikanischen Intellektuellen. Als „politische Barbarei“ und „Anschlag auf uns alle“ bezeichnete Carlos Fuentes das Attentat. Das Land müsse „sehr ernsthaft über das politische Klima in der Nation nachdenken“ wie auch über „die Notwendigkeit einer effektiven Demokratie“. Unabhängig von „ideologischen Diskrepanzen“ fordert der Schriftsteller „alle Mexikaner“ zu einer „Front gegen die Gewalt“ auf.

Die Literatin Elena Poniatowska hofft, daß der Anschlag „das Werk von zwei Verrückten war und nicht das einer politischen Gruppe, da das ein Anzeichen für den Horror wäre, an dem die mexikanische Politik inzwischen angelangt ist“. In jedem Fall aber sei „das Attentat ungeheuer schwerwiegend, da es einen Wandel für die möglichen Geschehnisse in Chiapas bedeutet, für die gesamte politische Szenerie“. Der Politologe Arnaldo Córdova sieht schwarz für die politische Kultur des Landes: „Wir sind dabei, zu verfaulen, und das nicht gerade langsam. Ich dachte, wir wären jetzt langsam auf dem richtigen Weg, und da brechen uns alle Brücken ab, und es passiert uns das Allerschlimmste: die Gewalt als Bestandteil von Politik.“

Allein der Dichterfürst Octavio Paz hat eine etwas abweichende Interpretation der Dinge parat: Auch er deutet das Attentat als schlechtes Omen für den „Zustand der öffentlichen Moral“. Schuld daran aber seien vor allem die „verbalen und ideologischen Exzesse einiger Intellektueller und Journalisten“, da man in den letzten Monaten „zahlreiche und unverantwortliche Apologien auf die Gewalt“ gelesen habe, in denen „nach einer heuchlerischen Verurteilung der Gewaltanwendung diese dann noch als politisches Mittel gerechtfertigt“ werde. Zwar hütet sich Paz, Namen zu nennen, als die Urheber dieser „verbalen und ideologischen Gewalt als Vorstufe zur physischen Gewalt“ sind aber unschwer all diejenigen zu erkennen, die in letzter Zeit eine wie auch immer geartete Sympathie für die zapatistische Guerilla im Süden des Landes geäußert hatten.

Zu derartigen Schuldzuweisungen ließ sich Präsident Salinas in seiner ersten Fernsehansprache nicht hinreißen: Sichtlich bewegt forderte er die BürgerInnen des Landes auf, „strikt im Rahmen des Gesetzes“ zu agieren. Eine schnellstmögliche Aufklärung des Mordes an seinem politischen Zögling und persönlichen Freund verspricht Salinas, ohne daß allerdings die „verfassungsmäßige Ordnung und die individuellen Freiheiten“ beeinträchtigt werden sollen. Ein zunächst befürchteter Ausnahmezustand scheint – vorerst – nicht ausgerufen zu werden.

Mordanschläge auf die wichtigsten Männer im Staate ist das Land – im Unterschied zum nördlichen Nachbarn – nicht gewohnt: Das letzte Attentat auf einen amtierenden Präsidenten wurde vor 51 Jahren verübt; das Opfer Manuel Avila Camacho trug damals allerdings eine kugelsichere Weste.

Über die Folgen für die mexikanische Politiklandschaft und den Befriedungsprozeß in Chiapas kann zur Stunde nur spekuliert werden. Sollten die Präsidentschaftswahlen wie geplant für den kommenden August stattfinden – was politische Beobachter durchaus in Zweifel ziehen –, steht die PRI vor der vollkommen unerwarteten Aufgabe, einen neuen Kandidaten zu finden. Als Sozialminister war Luis Donaldo Colosio am 1. Dezember letzten Jahres von Salinas zu seinem potentiellen Nachfolger erklärt worden. Sein ehemaliger Konkurrent in der Kandidatenkür, Manuel Camacho Solis – der in den letzten Monaten als Friedensemissär in Chiapas politisch wieder auferstanden war –, hatte noch einen Tag vor dem Attentat eine Doch-noch-Kandidatur definitiv ausgeschlossen.

Sicher ist zur Zeit nur eines: Es wird heiß werden in Mexiko – auch und gerade in der Hauptstadt. Kurz nachdem der fassungslose Fernsehsprecher die „tragische Jahrhundertnachricht“ bekanntgibt, ruft der Direktor der Tageszeitung La Jornada die Belegschaft zusammen: Besorgt fordert er die MitarbeiterInnen auf, nicht in Paranoia zu verfallen und teilt mit, daß man Sicherheitskräfte zum Schutz des Zeitungshauses angefordert habe; schon in den ersten Stunden nach dem Colosio- Attentat waren bei dem als PRI- kritisch bekannten Blatt eine Reihe von Mord- und Bombendrohungen eingegangen.

Siehe Seiten 10 und 11

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