: Entlassene Mafiosi wieder im Knast
Italiens Regierung beugt sich internationalen Protesten/ Methode jedoch wieder einmal fragwürdig ■ Aus Rom Werner Raith
Nach massiven Protesten im ganzen Land und nach starkem Druck auch aus dem Ausland hat Italiens Regierung einen Skandal zu bereinigen gesucht, der dem Land endgültig jeden Schein von Rechtsstaatlichkeit zu nehmen drohte: die Freilassung von drei Dutzend in 1. und 2. Instanz zu hohen bis lebenslänglichen Strafen verurteilten Mafiabossen und -killern, deren Gruppen nach Erkenntnissen den Innenministers dem Staat in Unteritalien bereits weitgehend jedes Hoheitsrecht entwunden hatten. Die Freisetzung war vom Kassationsgerichtshof — vergleichbar etwa unserem Bundesgerichtshof — verfügt worden, weil die Höchstdauer für Untersuchungshaft überschritten wurde, ohne daß ein rechtskräftiges Urteil vorlag.
Die Regierung hat nun ein Gesetzesdekret erlassen, das im Unterschied zum normalen Gesetz sofort in Kraft tritt, aber innerhalb von drei Monaten vom Parlament bekräftigt werden muß. Dieses Dekret legt die „authentische Interpretation“ jenes seit Oktober 1990 geltenden Strafprozeßrechts fest, aufgrund dessen die Mafiaoberen freigekommen waren; so dürfen künftig die tatsächlichen Prozeßtage nicht auf die verwirkte Höchstzeit angerechnet werden, sondern nur jene Tage, an denen sich juristisch nichts tut.
Um die freigelassenen Bosse wieder einzufangen, bevor diese ihre neue Freiheit nutzten und untertauchten, griff die Regierung zu einem Trick: Noch am Nachmittag ließ sie erklären, man habe noch keine Entscheidung getroffen; inzwischen wurden die Gangster unter Vorwänden zu den Polizeiwachen eskortiert und dann festgehalten, bis das Dekret vom Staatspräsidenten unterschrieben war.
Obwohl in Italien große Zustimmung zur Wiedereinsperrung der Mafiosi herrscht, sehen Kritiker aufgrund des Vorgehens der Regierung Schlimmes voraus: Das Dekret berührt den Rechtsgrundsatz, wonach kein Gesetz nachträglich auf schon zurückliegende Vorgänge angewendet werden kann; außerdem ist fraglich, ob die neue Norm auch ohne Veröffentlichung im Staatsanzeiger gilt. Die Anweisung zur Wiedereinkerkerung der Mafiosi kam überdies per Fax und nicht im Original in Palermo an, weshalb sich auch die Frage der Authentizität des Vorganges stellt. Die Verteidigerkammer Palermos hat bereits eine Woche Streik wegen des Vorganges angekündigt.
Das größte Problem liegt jedoch an anderer Stelle. In den nächsten Wochen wird genau jener Gerichtshof, der die Freilassung verfügte, über die letztinstanzliche Beschwerde der Angeklagten in ihren Prozessen zu entscheiden haben. Spricht er — wie dies schon einige Male vorgekommen ist — als Reaktion die Mafiosi im Hauptverfahren frei, wird kein Dekret mehr helfen, und Kammervorsitzender Carnevale ist berühmt für seinen Spruch: „Gebt mir eine Seite Urteilsbegründung, und ich finde drei Zurückweisungsgründe.“
Ganz böse Zungen in Rom vermuten freilich, daß zumindest einige Regierungsmitglieder genau dies wollen: Mit dem Dekret konnten sie ihren Willen zur Rechtsstaatlichkeit beweisen, mit einem Freispruch aber würde man auch den für die Regionalwahlen im Frühjahr wichtigen Mafiafamilien Genüge tun...
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen