■ Entkamen in Bad Kleinen zwei weitere RAF-Mitglieder?: Tödlicher Erfolgsdruck
Zwei Tote, ein „verbrannter“ V-Mann und nun zwei weitere angebliche RAF-Mitglieder, die, obwohl videotechnisch festgehalten, sich seelenruhig vom Ort des Geschehens davonmachen konnten. Es fällt inzwischen schwer, die Bilanz des mächtigen Auftriebs der staatlichen Eliteeinheiten an der dörflichen Bahnstation von Bad Kleinen ohne Häme zu kommentieren. Das Publikum schwankt zwischen Entsetzen angesichts des blutigen Ausgangs und Belustigung angesichts der bevorstehenden neuen Runde im Schwarzer-Peter-Spiel. Die aber kommt unweigerlich, wenn sich die Nachrichten vom Wochenende bestätigen. Wer war verantwortlich, als in der Schlußphase der monatelang in diversen Spitzenzirkeln aus Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz, Bundes- und Landespolitik durchgekauten Zugriffsaktion praktisch nichts mehr blieb, wie es geplant war? Warum überhaupt der Zugriff an diesem Sonntag, in Anwesenheit des „kostbaren“ Polizeispitzels, wo doch bei der RAF offenbar ein gruppendynamischer Landurlaub in der Region fest gebucht war? Schließlich: Warum entschloß sich das Bundeskriminalamt erst nach fast sechs Wochen zur Öffentlichkeitsfahndung? Stoff genug also, weitere Stühle heftig wackeln zu lassen.
Das Ausmaß an Desorganisiertheit, Hektik und Unfähigkeit, das sich im Ablauf der Festnahmeaktion manifestiert, spiegelt den ungeheuren Erfolgsdruck, unter dem die Behörden seit Jahren stehen. Der setzt sich zusammen aus dem nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus gewachsenen Legitimationsdefizit der Ämter, aus ihrer chronischen Erfolglosigkeit bei der Fahndung nach der RAF, aus den politischen Lösungs-Alternativen („Kinkel-Initiative“), die das Scheitern der Fahnder amtlich zu machen drohten, und schließlich aus der Bereitschaft der RAF, „die Eskalation zurückzunehmen“.
Daher mußte ein Erfolg her. Um jeden Preis. Es war diese explosive Ausgangslage, die letztlich zwei Menschen das Leben kostete. Deshalb ist es richtig, Konsequenzen zu fordern. Doch gefragt sind gerade nicht die Straffung oder gar der Ausbau des Staatsschutzapparats, also jene Rezepturen, die die „law and order“-Fraktionen beider großer Parteien routinemäßig bereitzuhalten pflegen. Beides könnte nicht verhindern, daß der Erfolgsdruck weiter steigt und mit ihm die Wahrscheinlichkeit dramatischer Fehlentscheidungen wie in Bad Kleinen. Was vielmehr ansteht, ist das unaufgeregte Ausloten der Chancen, die sich aus der seit April 1992 durchgehaltenen RAF- Konzeption der Deeskalation ergeben. Wer jetzt auf noch mehr Fahndung setzt, leistet einen Beitrag zur Verewigung einer von der Geschichte überholten Form der Konfliktaustragung. Gerd Rosenkranz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen