Entertainer Rocko Schamoni: "Auf dem Land kriege ich Panik"
Hamburg hat er mittlerweile reichlich satt, spricht von einem "Nachlassen der Energie". Ein Leben in der Provinz kann sich der Musiker und Autor Rocko Schamoni aber auch nicht vorstellen.
taz: Herr Schamoni, gerade ist Ihr neues Buch "Tag der geschlossenen Tür" erschienen. Warum spielen Ihre Geschichten immer in Hamburg?
Rocko Schamoni: Weil ich hier lebe. Das ist der einzige Grund. Ich sammle meine Inhalte von der Straße, aus Geschichten von anderen Leuten und aus meiner Erlebniswelt. Das macht meine Schreiberei glaubhaft.
Ist die Stadt wichtig für Sie?
Ja.
Warum?
Ich bin kein Naturschriftsteller und ich glaube, über die Natur ist schon alles gesagt worden. Vor allen Dingen kann man an der Natur so gut wie nichts kritisieren. Es gibt nichts Schlechtes oder Ekelhaftes an der Natur. Aber an den Lebenswelten der Menschen gibt es sehr viel zu kritisieren und an den Städten natürlich am meisten.
Ein Beispiel, bitte.
Hamburg hat es tatsächlich geschafft, alles was nutzlos, unwert und irgendwie verrottet ist, aus sich herauszukehren. Das ist aber häufig das, was Städte ausmacht. Und die Leute, die diese Säuberungspolitik betreiben, fahren im Sommer nach Italien und mieten sich irgendein kleines, altes Fischerhäuschen, das sie wahnsinnig schön und authentisch finden, während sie hier die Glasbüros hochziehen. Dass die dunkle, die dreckige Seite einer Stadt in deren Bewertung keine Berechtigung hat, finde ich gelinde gesagt dumm.
44, wuchs als Tobias Albrecht in Lütjenburg (Kreis Plön) auf und zog mit 22 nach Hamburg. Er ist Musiker, Schauspieler, macht Theater und engagiert sich in der Recht auf Stadt-Bewegung.
Sein viertes Buch, der Roman "Tag der geschlossenen Tür", ist soeben bei Piper erschienen. Rocko Schamoni liest daraus im Norden: 12.1. Bremen, Schlachthof; 26.1. Lübeck Filmhaus; 8.2. Hamburg, Schauspielhaus; 23.2. Hannover, Pavillon; 17.5. Kiel, Metro
Also raus aufs Land?
Einmal im Monat aus der Stadt rauszukommen, so wie jetzt bei meinen Lesereisen für das neue Buch, das finde ich gut. Das ist dann wie so ein kleiner Urlaub. Aber sonst: Nein, auf keinen Fall.
Warum nicht?
Ich komme aus einer kleinen Stadt in Schleswig-Holstein. Wenn ich dort bin, macht mich das nach einiger Zeit fertig.
Weil Sie die Heimat deprimiert?
Ich merke, dass ich dort nach drei oder vier Tagen Panik kriege. Weil es auf dem Land einen Stillstand gibt, ein Nichtgeschehen. Dazu kommt gleichzeitig ein Stillstand in mir, weil ich die Ruhe und die Einsamkeit nicht auskosten kann, wie man es eigentlich können sollte. Ich bin mir selber nicht genug.
Wegen der fehlenden Möglichkeiten auf dem Land, dem Mangel an Flexibiliät?
Das Land hat schon etwas Totes - auch was schönes Totes an sich, aber speziell im Norden ist das Landleben in den letzten 20 Jahren fast gänzlich weggestorben. In den 70er Jahren gab es noch Hippie-Kommunen und schrottige Theken, wo sich irgendwelche Freaks getroffen haben. Das gibts alles nicht mehr. Die Gasthöfe bei mir aus der Gegend sind zu 80 Prozent geschlossen worden, da leben jetzt irgendwelche Arztehepaare aus Hamburg drin. Die meisten Leute sitzen zu Hause und gucken Fernsehen oder sind im Internet.
Die wilden Zeiten im Dorf sind also vorbei?
In meiner Heimatstadt gibt es sieben Supermärkte - und sonst nichts. So was wie ein Kneipenleben mit Karten spielenden alten Männern, die zusammen rauchen und Bier trinken, die Dorfdisco, der Nachtclub: Das ist alles weg.
Sie scheinen das zu vermissen.
Auch das ist ein Grund, warum ich immer mehr Panik auf dem Land kriege. Ich merke, dass der Norden seine kulturelle Identität komplett hat fahren lassen und dass es keinen Ort gibt, an den man noch flüchten kann. Früher gab es noch den "Dorfkrug", da konnte man dann abends hingehen und einen Korn zwitschern oder so was. Mittlerweile kannst du irgendwo im Wald ein Loch haben, wo du Bier vergraben hast, und da kannst dann du hingehen und einen trinken. Aber alleine.
Das machen Sie selbst aber nicht mehr.
Mit 18 mochte ich das noch so, stundenlang, mit dicken Klamotten und einer Kiste Bier mit Kumpels im Wald rumzuhängen, aber das ist auch vorbei. Mein Vater wohnt da noch. Aber auch er sagt: Der Winter ist das Grauen auf dem Land. Und er wohnt da schon seit vielen Jahren. Wenn ich dort bin bei schlechtem Wetter, dann sehne ich mich nach ein paar Tagen sehr nach der Stadt und dem ganzen Unsinn, der hier passiert.
Welcher Unsinn?
Städte sind die sichersten Orte für Leute, die nicht ganz sauber ticken. Eigentlich sind die Städte auch immer die Horte der Ausgestoßenen, weil man untertauchen kann. Und das interessiert mich. Und deswegen bewege ich mich gerne in Städten und beobachte das dort, weil dort das Menschliche am meisten zum Vorschein kommt.
Auch das eigene?
Das kommt darauf an, wie man sich bewegt. Man kann ein Höhlenleben in der Großstadt führen. Es gibt verschiedene Wege den Menschen zu begegnen oder ihnen zu entgehen, und das finde ich spannend.
Und doch kritisieren Sie die Stadt.
Ich habe erst in den letzten Jahren Probleme bekommen mit Hamburg. Hamburg hat sich so wahnsinnig stark verändert, und gleichzeitig hat es ganz viel von seiner Wildheit verloren. All die Staffage-Bauten, diese ganzen Glasbunker, die da stehen, die ganzen Teherani-Fantasien, diesen ganzen Massen-Event- und Kohlequatsch, der diese Stadt dominiert. Und gleichzeitig ein kultureller Stillstand, ein Nachlassen der Energie. Die Stadt ist glattpoliert, alles Randständige rutscht von der Oberfläche ab. Ich für meinen Teil bin gerade so ein bisschen am Ende meines Lateins hier.
Klingt, als hätten Sie die Schnauze voll.
So lange ich hier bin, sage ich was dagegen, weil ich es zum Kotzen finde.
Haben Sie schon überlegt, wegzugehen?
Ja, ich denke öfter drüber nach.
Wohin?
Das weiß ich noch nicht.
Machen Sie bei "Recht auf Stadt" mit, weil Sie diese Entwicklung hier so nervt?
Dass es aufgrund dieser kulturellen Erschlaffungsprozesse, der Dominierung von Eventseite und der Verflachung der Stadt auch eine Gegenbewegung gibt, die immer stärker geworden ist, die vernetzt ist, das finde ich gerade sehr spannend in Hamburg, das gab es lange Jahre nicht, und es ist der einzige freudvolle politische Prozess in dieser Stadt.
Auch der Stadtteil St. Pauli, wo Ihr Golden Pudel Club ansässig ist, verändert sich gerade sehr.
Ja, St. Pauli ist ein klassisches Arme-Leute-Seefahrerviertel, das Viertel, von dem Helmut Schmidt gesagt hat, "da geht unsereiner nicht hin" - jetzt tut man das auf einmal: Jetzt kommt "seinereiner". Auf der anderen Seite gibt es die Menschen aus dem Viertel, die sagen, das ist unser Reservat, ihr habt uns hier reingesteckt, weil wir in euren Vierteln nicht sein sollten - jetzt lasst uns gefälligst in Ruhe. Mit welchem Recht kommt ihr jetzt hierher und wollt uns die billigen schrottigen Häuser unterm Arsch wegräumen, damit ihr eure tollen Lofts da haben könnt?
Aber will nicht jeder eine schicke Dachwohnung im Schanzenviertel haben?
Kann ja sein, na und? Gibt nicht genug. Und sind zu teuer. Insofern reden wir bei dieser Frage über ein Grundproblem unserer Gesellschaft, den Kapitalismus.
Da kommt man ja nicht drum rum.
Da kommst du bei den jetzigen Bedingungen die nächsten 30 Jahre nicht drum rum.
Wieso 30?
Weil der Kollaps kommt. Und zwar nicht nur deswegen, weil die Wirtschaftssysteme implodieren, sondern weil die westliche Lebensweise, unsere Art die Welt als Mine zu sehen, die man endlos ausbeuten kann, die ganze Kälte und Berechnung unseres Blickes irgendwann zum Desaster führen muss. Das hält noch 30, 40, vielleicht 50 Jahre - dann ist Ende im Stollen.
Kann man das bremsen?
Es ist nicht zu bremsen, das System ist zu groß, zu unüberschaubar, es ist zu spät.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen