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Engel zu Lebzeiten

■ Dem Tod auf der Spur: „Kirschkern & Compes“ mit „Ursel“ im Fundus-Theater

Wie war das noch als Kind? Alle Sitzmöbel erschienen überdimensioniert, nie erreichte man mit den Füßen den Boden. Ein Sessel glich einem Klettergerüst. Oder sogar einer ganzen Wohnung. Derlei Erinnerungen beschwört die krassgelbe Requisite auf der Bühne des Fundus-Theaters bei der Premiere von Ursel nach Guy Krneta herauf.

Diesen phänomenalen Sessel (Bühnenbild: Marcel Weinland) bespielen nämlich Judith Compes und Sabine Dahlhaus alias Kirschkern & Compes so authentisch, als lebten sie auch zu Hause nicht anders. In der Regie von Maryn Stucken geben beide die siebenjährige Ursel – in Karokleid und grünen Strumpfhosen. Ist der Text bei Krneta noch monologisch, wird er bei Stucken und ihren glänzenden Schauspielerinnen zu einem mitreißenden Dialog, in dem sich die Ursels gegenseitig unterstützen und ihre Geschichte erzählen: Ursels älterer Bruder Urs fiel als Dreijähriger aus dem Fenster. Doch schon zu Lebzeiten war er für die Eltern ein Engel. Deshalb wird für ihn auch immer noch der Tisch mitgedeckt.

Mit einer für Kinder wie Erwachsene gleichermaßen genau dosierten Mischung aus Komik und Ernst sind Dahlhaus und Compes dem Umgang mit dem Tod auf der Spur. Mal schlüpft Dahlhaus dabei in die Rolle des Vaters, mal spielt Compes die Mutter, bei der immer aufgeräumt werden muss. Und ohne in der Mädchenrolle je klamottig zu wirken, zeigen die Schauspielerinnen eine trotzig-verzweifelte Ursel, die von ihrer eigenen Beerdigung träumt, bei der endlich alle mal um sie trauern.

Die wunderbare Inszenierung macht Ursel zu einem Lehrstück, das ohne übertriebenes, für die Kleinen unverständliches Moralisieren daherkommt. Durch die verschiedenen Perspektiven von Kind und Eltern wird das Tabuthema Tod greifbar, ohne zu überlasten. Eine absolut empfehlenswerte Aufführung – nicht nur für Kinder ab sieben. Liv Heidbüchel

morgen, 24. und 25. November, 10 Uhr, Fundus-Theater; 27. und 28. November, 15.30 Uhr, Monsun-Theater

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