Energiewende lässt auf sich warten: Langes Endspiel der Fossilen
Soll das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden, muss der Ausstieg aus der fossilen Energie gelingen. In Wirklichkeit wird ihre Produktion global ausgebaut.
D eutschland ringt heftig um den Ausstieg aus den fossilen Importen aus Russland. Es besteht akuter Handlungsdruck, diese zu substituieren, und gleichzeitig gilt es, das langfristige Ziel der Klimaneutralität im Blick zu halten. Ein schwieriger Spagat, der zu einer intensiven Reisetätigkeit der Bundesregierung in Länder führt, die zuvor aus guten Gründen nicht als bevorzugte Partnerländer galten. In diesen Tagen und Wochen wird uns also in gnadenloser Brutalität die geopolitische Dimension von fossilen Energieimporten vor Augen geführt.
Klar ist in jedem Fall: Die Vorstellung, dass eine resiliente Energieversorgung allein der Markt bereitstellen kann, ist spätestens mit dem Ziel der Transformation obsolet. Sie allein an Kosteneffizienz auszurichten, war schon in der Vergangenheit falsch. Was daraus nun folgt, sind höhere Kosten, monetär und politisch. Klimaschutz hat global massive, disruptive wirtschaftliche und auch geopolitische Auswirkungen. Sie tauchten im Diskurs immer mal auf, doch in der Realpolitik wurden sie nicht wirklich adressiert. In nur 23 Jahren will Deutschland alle fossilen Importe auf null gefahren haben, heute immerhin gut 70 Prozent unserer Primärenergie.
Im vergangenen Jahr wurde die Internationale Energieagentur (IEA) mit ihrem „Net-Zero“-Report überall in der Welt vor allem mit der Aussage zitiert, dass keine Investitionen in Öl und Gas mehr stattfinden dürfen, wenn die Welt sich wirklich ernsthaft auf den sogenannten 1,5-Grad-Pfad begeben wolle. Die Realität aber hinkt den politischen Zielen weit hinterher. Amin Nasser, der Chef von Saudi Aramco, dem größten Erdöl-Förderunternehmen der Welt, hat das über allem schwebende Problem neulich auf den Punkt gebracht: „Während Investitionen in die Öl- und Gasindustrie gebremst werden, wird von uns verlangt, die Produktion zu steigern.“ Überall werden nahezu verzweifelte Gespräche geführt, ob denn die Produktion von Öl, Gas und auch Kohle nicht noch ausgeweitet werden kann. LNG-Terminals werden gebaut, neue Pipelines und Transportwege geplant und neue Gas- und Ölfelder exploriert. Und bei den entsprechenden Gesprächen stellen Politiker aus Deutschland und der EU fest, dass die aktuelle Krise Lösungen erfordert, die weit über einen kurzen Zeithorizont von zwei oder drei Jahren hinausgehen. Wer heute neue Bezugsquellen will, muss langfristige Verträge machen, über zehn oder gar 20 Jahre. Neue Investitionen müssen getätigt und parallel dennoch auch der Umstieg auf Wasserstoff und grüne Powerfuels betrieben werden.
Wie kurzsichtig eine von Langfrist dominierte Strategie sein kann, wird jetzt deutlich, wo wir verflüssigtes Erdgas aus anderen Weltregionen auf einmal ebenso benötigen wie Erdöl vom Golf oder gar aus Venezuela und dem Iran, um das Embargo gegen Russland abzufedern. Wir haben zwar das Ende der Fossilen eingeläutet, aber nicht besiegelt und schon gar nicht gemeinsam abgestimmt. Ein gravierendes Versäumnis für unsere flexible Versorgung, den Klimaschutz, aber auch die internationale Zusammenarbeit und den Geist des Miteinander.
Wohl wahr, auch Länder, die vor allem fossile Energieträger produzieren, sind freiwillige Verpflichtungen zum Klimaschutz eingegangen. Wir haben internationale Partnerschaften mit Blick auf erneuerbare Energien aufgebaut. Aber die zugrunde liegende Botschaft an unsere traditionellen Energielieferanten lautete in etwa so: „Die fossilen Importe sind ein notwendiges Übel, euer Geschäftsmodell obsolet, eure Vermögenswerte gestrandet.“ Durch die Klimabrille wurden diese Länder zumindest als Bremser, wenn nicht als Gegenspieler gesehen. Es wurde sich kaum bemüht, mit den Ländern konkret über eine Dekarbonisierung der Lieferkette zu sprechen. Alles das hat in manchen Regionen dieser Welt den Nährboden für eine gefährliche Lesart unserer Bemühungen zur Dekarbonisierung bereitet. Eine Wahrnehmung, die Klimapolitik und die Energiewende in erster Linie als Bühne eines geopolitischen Wettbewerbs versteht.
Nun müssen die Produzenten der fossilen Energieträger für den Umbau kooptiert und mitgenommen werden. Nur dann kann der Konsens um das Pariser Klimaschutzabkommen bewahrt werden, aber eben auch die Zwischenschritte von Erdgas zu Wasserstoff, von Erdöl zu synthetischen Brennstoffen definiert werden, um die fossilen Produzenten am Energiesystem und der Wertschöpfung teilhaben zu lassen.
Das Endspiel der Fossilen wird länger dauern
Wir müssen zurück zu einem kooperativen Modus, damit der sukzessive Ausstieg für beide Seiten planbar ist und „stranded assets“ zum großen Teil Theorie bleiben. Wir müssen uns also die Frage stellen: Haben wir aktuell die richtigen internationalen Foren, um unsere klimapolitischen Ziele mit fossilen Lieferanten zu diskutieren und gemeinsam verlässliche Ausstiegspfade zu definieren? In der jetzigen Krisensituation kämpft jedes Land für sich. Auch das eine unglückliche Nebenerscheinung von globalen Krisen, die wir schon bei der Coronakrise erlebt haben. Klimaschutz darf bei den fossilen Lieferanten nicht als unfreundlicher Akt der Abkehr wahrgenommen werden, sondern als das, was er ist: ein schmerzhafter Kraftakt, um den gemeinsamen Planeten lebenswert zu erhalten, der aber auch neue Perspektiven eröffnen wird. Eine Angelegenheit, die nur in globaler Kooperation und in einem Umfeld ohne Krieg, Armut, Korruption und Terror gelingen kann.
Das Endspiel der Fossilen wird länger dauern, als wir gedacht haben. Die Spielregeln sind andere, als wir Klimaschützer lange Zeit geglaubt haben. Die diesjährige Klimakonferenz (COP) in Ägypten ist eine gute Gelegenheit, das zum Thema zu machen. In jedem Fall gilt: Mit dem Kopf durch die Wand wird größere Kollateralschäden nach sich ziehen, anders als eine kluge, internationale Klima- und Energiediplomatie mit einer breiten Riege von neuen und alten Partnern aufzusetzen.
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