: Ende der Wackelwochen
Obwohl er nicht berauschend spielt, schlägt der FC Schalke 04 die Stuttgarter mit 1:0 und kommt ein gutes Stück im Titelrennen voran. Die neuen Tugenden in Gelsenkirchen sind: „Ruhe, Geduld, Gelassenheit und Überzeugung“
AUS GELSENKIRCHEN DANIEL THEWELEIT
Mladen Krstajic spricht mit Journalisten normalerweise monoton, leise, fast widerwillig. Doch als er auf sein siegbringendes 1:0 gegen den VfB Stuttgart angesprochen wurde, legte sich ein breites Lächeln über sein Gesicht. „Geil, eine geile Situation“, sagte er, wohlwissend, dass dieser Moment im Rückblick einen ganz besonderen Platz erhalten könnte. Irgendwie erinnerte das kleine Zeitfenster nach 17 Uhr am Samstagnachmittag an den 19. Mai des Jahres 2001, und das bedeutet viel auf Schalke. Damals entriss Bayern München dem Klub den bereits sicher geglaubten Titel. Angetrieben von immenser Willenskraft stocherte Krstajic an diesem Samstag den Ball um 17:01 Uhr ins Stuttgarter Tor, bevor rund 100 Sekunden später das 1:0 der Frankfurter gegen Bayern München vermeldet wurde. Und weil just in diesem Augenblick auch noch Gerald Asamoah – der einzige Spieler, der schon 2001 für Schalke spielte – nach halbjähriger Verletzungspause eingewechselt wurde, erreichte der Ausbruch der blau-weißen Massenfreude gewaltige Dimensionen.
Das hier war ein Signal. Auch wenn Zlatan Bajramovic auf die Frage, ob die Bayern angesichts der nunmehr neun Punkte Rückstand abgehängt seien, voller Vehemenz antwortete: „Nein, nein, wir müssen auf der Hut sein.“ Sie fürchten sich weiterhin vor der Titelmaschine aus München, doch vielleicht hat sich an diesem Wochenende tatsächlich etwas gedreht. Denn diesmal war es das Schalker Spiel, das Elemente von Oliver Kahns gefürchtetem Immer-weiter-immer-Weiter enthielt. Es war keine gute Partie, es war auch kein verdienter Sieg, denn der VfB Stuttgart war besser, hatte mehr Chancen, aber es war ein Wendepunkt. „Wir sind wieder in die Erfolgsspur zurückgekehrt, da ist es mir ehrlich gesagt egal, wie wir gewonnen haben“, erklärte Manager Andreas Müller, angesichts der nun beendeten Serie von vier Spielen ohne Sieg.
Der Tabellenführer samt Anhang scheint in den Wochen des Wartens eine Lektion gelernt zu haben, die noch wertvoller ist als Punkte. Man braucht Ruhe, Geduld, Gelassenheit und Überzeugung, um Meister zu werden. Hysterie hingegen ist gefährlich. „Das Publikum war heute unglaublich“, sagte Mirko Slomka in Anspielung auf jene Phase, als die Stuttgarter nach rund einer Stunde drückend überlegen spielten und beste Möglichkeiten vergaben. Noch vor wenigen Wochen hätte sich in dieser Situation ein Mantel der Angst über das Publikum gelegt und einen Prozess der Selbstzerfleischung in Gang gesetzt. Nun jedoch sang die Nordkurve sich in einen tranceartigen Zustand. Glaube und Hoffnung und nicht wie zuletzt die Furcht, etwas zu verlieren, prägten die Atmosphäre. Und genau da trat der Held hervor: Krstajic, der eiserne Serbe.
Der Innenverteidiger spielt und trainiert seit Wochen mit einem Rippenbruch, der von einem speziell angefertigten Panzer geschützt wird. „Für die Gegner ist es auch egal, ob sie gegen Mladen oder gegen Titan stoßen“, hatte Slomka gescherzt, als das Utensil, das aus Karbon besteht, angefertigt wurde. Mit seinem Tor gegen Stuttgart inmitten der Schalker Wackelwochen hat Krstajic seinen Ruf als „Willens-Leader“, wie Ottmar Hitzfeld sagen würde, untermauert. „Wenn ich sage, ich spiele, dann bringe ich auch hundert Prozent“, so Mladen Krstajic.
Er hatte die Partie schon vorab zu einem „kleinen Endspiel“ erklärt, Slomka war deshalb „besonders erfreut“, dass ausgerechnet er, der das Wort ergriffen hatte, dieses Tor erzielte. Krstajic entpuppt sich mehr und mehr als genau jener Mann, der die sensiblen Leute im Kader, die unter der komplizierten Stimmungslage und der Last der Verantwortung leiden, mitreißt. Besonders die Offensivkräfte Mesut Özil, Kevin Kuranyi und Halil Altintop spielten gegen den VfB Stuttgart erneut ohne Mut und großes Selbstvertrauen.
„Es ist klar, dass in solchen Phasen oft Standardsituationen entscheiden“, sagte Slomka, nachdem dem entscheidenden Tor eine Ecke vorausgegangen war. Solange die beiden Kreativspieler und Raumöffner Lincoln (gesperrt) und Peter Lövenkrands (Bänderriss, der aber so gut wie auskuriert ist) fehlen, müssen die Schalker Siege eben auf anderen Wegen erarbeitet werden. Deshalb war auch die Rückkehr Christian Panders, dessen windschiefe Bälle immer wieder gefährlich durch den Stuttgarter Strafraum segelten, so wichtig.
Auf Stuttgarter Seite wurde hingegen heftig über das Fehlen von Mario Gomez gegrübelt. Der verletzte Stürmer hätte wahrscheinlich eine der vielen Stuttgarter Möglichkeiten verwertet und die Schalker Befreiung verhindert. „Die Meisterschaft ist jetzt nicht mehr drin“, sagte Stuttgarts Trainer Armin Veh etwas gedrückt, „aber wir wollen den dritten Platz verteidigen“. Und daher werden sie wohl am kommenden Spieltag mit Schalke fiebern, denn die spielen dann bei den Bayern, dem Vierten.