: Ende der „Fünften Modernisierung“
■ China steht nach dem Sturz von KP–Chef Hu Yaobang vor einem politischen Rollback / Doch die Wirtschaftsreformen sind nicht mehr rückgängig zu machen
Peking/Berlin (taz) - „Da wird noch etwas passieren heute Nacht“, orakelte am Freitagabend ein chinesischer Journalist. „Ich habe Angst, daß sie wieder untereinander kämpfen werden - die Parteioberen - wie damals in der Kulturrevolution. Und dann sind wir wieder die Betrogenen.“ Abwarten ist die fatalistische Devise des Journalisten. Eine Stunde später schon beendet allerdings der staatliche chinesische Rundfunk die Ungewissheit unter den Bürgern Chinas: „Hu Yaobang tritt von seinem Amt als Generalsekretär der kommunistischen Partei zurück“, meldet der Sender. Ministerpräsident Zhao Ziyang, der neben Chinas starkem Mann Deng Xiaoping und Hu Yaobang der reformwilligen Führungstroika Chinas angehört, wird neuer Vorsitzender der KP. Zu spät eingegriffen Gerüchte über personelle Konsequenzen aus den Studentenprotesten, für eine schnellere Wirtschaftsreform und Demokratisierung des sozialistischen Staates, hatten schon seit dem 30. Dezember in Peking die Runde gemacht. Angeblich soll der 81jährige Reformarchitekt Deng Xiaoping persönlich hart mit seinem Schützling Hu Yaobang ins Gericht gegangen sein. Hu habe dem „bürgerlichen Liberalismus“ in China Vorschub geleistet. Im Klartext heißt das, Hu habe zu spät eingegriffen, als die Studenten in insgesamt 19 chinesischen Städten auf die Straßen gingen. Solange sich die jungen Intellektuellen für die Demokratisierung als „fünfte Modernisierung“ des Reichs der Mitte stark gemacht gemacht hatten, konnten sie sich der Unterstützung Dengs gewiß sein. Schließlich ging es auf den starken Mann Chinas selbst zurück, daß seit März 1986 Medienkampagnen durch das Land gerollt waren, die in einer nie dagewesenen Offenheit die Reform der „politischen Kultur“ gefordert hatten. Deng meinte damit freilich nur, daß Vetternwirtschaft, Korruption und Ämtermißbrauch unter den Kadern der KP eingedämmt werden solle. Diese unsozialistischen Nebeneffekte waren zu den Hauptstolpersteinen der Wirtschaftsreform geworden. Immer wieder setzte hier die Kritik der Antireformer um Wirtschaftsfachmann Chen Yun an, wenn er Dengs „zu schnelle Westöffnung“ kritisierte. Ob Deng freilich in vorderster Front der Reformer stand, ist dieser Tage zu bezweifeln. Offenbar konnte er all jene kritischen Intellektuellen nur so lange vor den Konservativen decken, wie sie nicht auf die Straße gingen und die Herrschaft der KPCh in Frage stellten. Aber genau das geschah im Dezember an den Universitäten von Hefei, Shanghai und Peking. Erstmals in der Geschichte des modernen Chinas - und nicht nur in der Geschichte der Volksrepublik China - verlangten die jungen Intellektuellen „freie Presse und unabhängige Justiz“. Wollte Deng die „Reform der politischen Kultur“, so forderten die Demonstranten die „Reform des politischen Systems“. Aber das, so erklärten nicht nur die Konservativen, verstoße gegen die Verfassung der VR China, in der die Vorherrschaft der Partei festgeschrieben ist. Universitätsrektor hinter den Studenten Hat Deng Xiaoping 1986 wie Mao Zedong 1956 bei seiner Kampagne „Laßt hundert Blumen blühen“ den Elan der Kritik der Intellektuellen unterschätzt? Wohl kaum. Denn Fang Lizhi etwa, der Rektor der Technischen Universität von Hefei, wo die Demonstrationen begannen, gilt als Vertrauter Zhao Ziyangs. Noch im Dezember konnte Fang einen aufsehenerregenden Artikel in den Medien des Landes unterbringen, in dem er sich für „Demokratie in China“ aussprach. Kein Wunder, daß Hefeis Studenten mehrmals den Rektor selbst befragt haben sollen, bevor sie auf die Straße gingen. Damit hat er sich aber wohl zu weit vorgewagt. Denn er war einer der ersten hohen Würdenträger aus der Partei, die jetzt in die Wüste geschickt wurden. Gut paßt dazu, was ein Hongkonger Monatsmagazin meldete: Hu Yaobang sei Mitte Dezember selbst nach Shanghai gereist, um die rebellierenden Studenten in ihrem Tun zu bestärken, war im chinesischsprachigenm Magazin Zhengming zu lesen. Das wäre haargenau die Methode, mit der sich die verschiedenen Fraktionen in der KPCh schon seit Urzeiten bekämpfen. Was die Studenten vom großen Köpferollen im Zhongnanhai, dem Pekinger Sitz des Politbüros halten, faßte ein junger Mann kurz zusammen: „Das ist gut, daß Hu gehen muß. Auch Reagan hat immer nur vier Jahre Amtszeit.“ Ausländer und Geschäftsleute in China befürchten vorerst nicht das Ende der wirtschaftlichen Reformpolitik, ein politisches Rollback scheint aber unvermeidlich. Zu vehement haben die alten Veteranen in der KPCh in den letzten Wochen ihre Befürchtung vor „polnischen Verhältnissen“ in China geäußert. Unangenehme Erinnerungen an 1983 werden wach. Eine Kampagne, initiiert von der Disziplinarkommission in der KP, forderte damals in wenigen Wochen Zehntausende von Opfern durch Genickschuß. Trotzdem glaubt ein KP–Mitglied mit politischer Erfahrung aus der Kulturrevolution: „Eine Änderung der Politik der offenen Tür werden die Massen nicht zulassen.“ Dazu haben sie schon zu sehr von den Früchten der Reform, von Gehaltserhöhungen und besserem Lebensstandard genascht. Ein Ende der Reform würde Bauern und Arbeiter zusammen mit den Studenten auf die Straßen treiben. Und gerade das wollte die KP ja vrhindern. Jürgen Kremb (Berlin) Michael Magercord (Peking)
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