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Emotionales Problem

■ Harburg und Wilhelmsburg und die Brücke des 17. Juni: Neubau zu teuer – Abriß auch Von Heike Haarhoff

Die dunkle Sonnenbrille tief ins Gesicht gerückt, wagte sich Innen- und Katastrophenschutzsenator Hartmuth Wrocklage (SPD) gestern in die tiefste Wilhelmsburger Hafengegend. Fachmännischen Blickes galt es zu prüfen, ob die Brücke des 17. Juni ihres Platzes verwiesen soll: Die 470 Meter lange Brücke über die Süderelbe – im Sturmflut-Evakuierungsplan als Fluchtweg von der Elbinsel Wilhelmsburg nach Harburg ausgewiesen – ist ein wahrlich unsicheres Pflaster. Luftfeuchtigkeit, Salz und Dreck haben die Stahlträger während der vergangenen Jahre arg zerfressen; der Rost ist unübersehbar.

Ausbesserung oder Abriß? Allein die Grundinstandsetzung würde zehn Millionen verschlingen, vom Korrosionsschutz ganz zu schweigen. Der Abbruch der zweispurigen Verbindung zum rettenden Festland wiederum kostet sechs Millionen. Für beides fehlt das Geld, und deshalb geht die Rechnung nicht auf.

Eine akute Einsturzgefahr schließt Bausenator Eugen Wagner (SPD) zwar aus. Doch schon heute müssen Laster, die mehr als acht Tonnen wiegen, auf andere Brücken ausweichen. Bald, witzeln böse Zungen, muß Hamburgs Hallig auf dem Seeweg oder gar über eine Luftverkehrsbrücke versorgt werden – eine Katastrophe für die 800 Wilhelmsburger Firmen, die ihren Lieferverkehr hauptsächlich über die Brücke des 17. Juni abwickeln.

„Der Sturmflutschutz muß garantiert sein“, verspricht Wrocklage, die bangenden Wilhelmsburger niemals auf ihrer einsamen Insel – abgetrennt vom hanseatischen Festland – versauern zu lassen. Möglich wäre, die Brücke des 17. Juni stillzulegen und bei drohender Sturmflut notfalls die benachbarte Alte Harburger (Fußgänger-)Brücke für den Pkw-Verkehr zu öffnen. Während der sturmflutfreien Jahreszeit müßten die 11.000 Fahrzeuge, die täglich über die 17. Juni-Brücke brettern, dann allerdings die parallelen Europa- oder Autobahn-Elbbrücken verstopfen.

Doch die Wilhelmsburger plagen ganz andere Sorgen: „Es ist ein emotionales Problem“, weiß Ortsamtsleiterin Heike Severin. Die Sturmflut von 1962, bei der 360 Menschen ums Leben kamen, weil sie nicht mehr flüchten konnten, „sitzt ganz tief“. Seitdem gilt die zweispurige Straße über die Süderelbe als Rettungsweg. „Weil es nach Westen und Osten keine Verbindung gibt, ist das Sicherheitsbedürfnis groß“, so Severin. Da ist es egal, ob zwei funktionstüchtige Brücken in direkter Nachbarschaft stehen.

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