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Emotionale Distanz

betr.: „Chaos ist Fortschritt“, taz vom 27. 7. 01, „Blutige Allegorien“, taz vom 31. 7. 01

Angesichts der sozialen und ökologischen Folgen der weder durch demokratisch legitimierte Instanzen noch auch nur ansatzweise durch ethische Prinzipien gezügelten Spekulationen und Finanztransfers zähle ich den wachsenden weltweiten Widerstand gegen diese Folgen (nicht gegen die Globalisierung) mit zum Erfreulichstem, was sich derzeit auf unserem Planeten ereignet. Umso ärgerlicher die Instrumentalisierung dieser Ereignisse zur selbstbeweihräuchernden Bestätigung eigener Theorien bei offensichtlich völliger emotionaler Distanz zum Geschehen seitens Sybille Tönnies’ und Klaus Kreimeiers.

Frau Tönnies erschaudert keinesfalls angesichts des Chaos, welches sie in Genua auszumachen meint, weil sie aufgrund einer für mich nicht nachvollziehbaren Theorie der Auffassung ist, dass auf Chaos doch nur die von ihr so geliebte (am besten universale) Ordnung folgen kann. Geradezu Freude über die Ereignisse von Genua prägten ihren Beitrag, was ich angesichts des brutalen Niederknüppelns friedlicher (schlafender!) Demonstranten mehr als zynisch finde.

Herr Kreimeier dreht die Binsenweisheit, dass spektakuläre Ereignisse natürlich von den Medien für ihre Zwecke und Einschaltquoten benutzt bzw. missbraucht werden, einfach um und attestiert den Akteuren „falsche Kostüme“ und „geliehene Gesten“. Auch hier wird das Geschehen mit einer zynischen Distanz medientheoretisch analysiert und bewertet, wo doch das Gros der Demonstranten, welches nicht angereist ist, um sich medienwirksam zu prügeln, sondern einem sehr ernsten und berechtigten Anliegen Ausdruck zu verleihen, eben nicht auf Selbstdarstellung aus ist. Die Gesten des Protestes sind ebenso wie Gesten der Wut oder der Trauer nun mal immer sehr ähnlich. Wenn dies den armen Herrn Kreimeier langweilt, outet er sich als genau der Medienkonsument, welchen die „Bilderindustrie“ zu bedienen bemüht ist (was ich mir aber eigentlich nicht wirklich vorstellen kann). MANFRED NEDLER, Dortmund

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