Emissionshandel und Weihnachten: CO2 statt Goldbarren
Bitte schicken Sie unserem Autor zu Weihnachten keine geräucherte Rinderhälfte und auch keine fair gehandelten Goldbarren. Er hat eine bessere Idee.
I ch weiß doch, wie es Ihnen geht, liebe LeserInnen: Nächste Woche ist Weihnachten, jetzt sind die Läden zu und Sie haben wieder mal keine Idee, was Sie schenken sollen. Sie fragen sich: Mit welchen guten Gaben zeige ich zu Weihnachten Dankbarkeit und Zuneigung? Vor allem solchen Menschen, die a) nichts brauchen, b) nichts wollen, c) alles haben, aber d) insgeheim doch eine tolle Überraschung erwarten?
Ich selbst bin da ein gutes Beispiel. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit meldet sich mein Briefträger krank, weil er es nicht schafft, all die Kartons, Päckchen, Säcke und Container zu meinem Schreibtisch zu schleppen, mit denen mich meine LeserInnen überschütten.
Ich muss Sie deshalb dringend bitten, von Geschenken in diesem Jahr ausnahmsweise einmal abzusehen: An der geräucherten Rinderhälfte der letzten Weihnacht hat meine teilvegetarische Familie immer noch zu knabbern; in unserer Tiefgarage ist inzwischen einfach kein Platz mehr für das alljährliche neueste Tesla-Modell.
Und bitte schicken Sie auch keine fair gehandelten Goldbarren mehr an mein Postfach bei der taz. Der Kollege am Empfang hat’s im Rücken, und die Dinger sind wirklich unglaublich schwer.
Geld in Kohlendioxid anlegen
Aber es wird Weihnachten, und ich will Sie nicht ohne einen guten Tipp in die Dunkelheit des Shutdowns entlassen. Wenn Sie also mir, sich, der Welt, Ihren Kindern und der Zukunft ein Geschenk machen wollen, könnten Sie Ihr Geld in Kohlendioxid anlegen. Und ganz einfach und bequem mit ein paar Mausklicks am Europäischen Emissionshandel teilnehmen.
Auf der Website compensators.org können Sie ganz nach Lust, Laune und Kontostand CO2-Emissionen reduzieren. Einfach derzeit 35 Euro pro Tonne Klimagas überweisen, und – zack – schon haben Sie der Atmosphäre 1.000 Kilogramm Klimakiller erspart. Danke dafür!
Das Ganze ist seriös, keine Angst. Denn Sie machen, was sonst nur Chemiefabriken oder Kohlekraftwerke tun: Sie kaufen eine Lizenz zum Verschmutzen. Aber die nutzen Sie nicht. Nein, Sie lassen Sie einfach liegen. Die Vorteile: Sie helfen dem Klima, Sie entlasten Ihr Ökogewissen (wenn Sie Ihre jährliche Klimaschuld von 10 Tonnen abbüßen, ist für ein Jahr Ruhe), Sie unterstützen über den „Energie- und Klimafonds“ die Energiewende und Sie ärgern die Industrie, weil die Preise steigen. Außerdem können Sie bei Ihren Freunden angeben. Das ist schon mal 35 Euro wert.
Seit 2006 haben die Compensators, eine Idee von Klimawissenschaftlern, nach eigenen Angaben rund 40.000 Tonnen CO2 stillgelegt. Nicht schlecht. Allerdings gibt die EU jedes Jahr knapp 2 Milliarden Zertifikate aus. Da wartet also noch ein großer Schlitten voller Weihnachtsgeschenke. Sie können die Luftbuchungen schließlich auch für einen lieben Menschen tätigen und ihm oder ihr das gute Gewissen schenken.
Also, wie gesagt: Behalten Sie in diesem Jahr bitte die Rolex-Uhren, die Kästen voller Champagnerflaschen und die Krawatten mit Goldrand für sich – wenn Sie Ihrem Kolumnisten eine Freude machen wollen, überraschen Sie ihn mit einem romantischen CO2-Zertifikat. Und falls ich doch dringend etwas zum Einpacken unterm Weihnachtsbaum brauche, kann ich immer auf meine Nachbarn zählen: Bei nebenan.de gibt es nur zwei Straßen weiter ein Lillifee-Einhorn-Schaukelpferd zu verschenken. Nicht ganz mein Stil. Aber für die Rettung der Welt kann man zu Weihnachten schon mal ein Opfer bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“